Von Jean Paul an Heinrich Voß. Bayreuth, 13. November 1818 bis 16. November 1818.
Brieftext
Du geliebter, fortschreibender und fortverzeihender Heinrich!
Denn leider beantwort’ ich heute drei Briefe von dir auf
einmal und
zwar gerührt von deinem Schweigen über meines.
Arbeiten und
die kurzen Tage fressen mir die Zeit
weg, noch dazu da mein Geist
jetzo nur tröpfelt, nicht
tropft und regnet. Die Fülle und die Liebe
und der Witz
deiner Briefe laben mich jedesmal; ich kann dir, die
Liebe
ausgenommen, nichts zurück geben als ein Blätterskelet. —
Cotta hat dir doch das Morgenblatt über die S-Stürmerei
ge
schickt? Der Aufsatz muß auf
einmal gelesen werden; und ich denke,
er schlägt sich
durch, am gewissesten durch seine 12 Klassen oder
Regeln,
welche bisher Freunden und Feinden gefehlt. Der seltsame
Schreiber darüber im Morgenblatt ist der befreundete Prokurator
Merkel in Kassel, der nachher mir seine Zustimmung
selber und die
Nachricht geschrieben, daß Grimm allda in seiner
Grammatik mir
Unrecht geben werde. Letztes hat auch Thiersch in einem Briefe an
mich gethan, dessen leichte Widerlegung ich vor der Hand
nur
mündlich gesagt. — Drei Professoren (hiesige
Schullehrer) sind
mit mir gegen Thiersch einig.
Du mußt nur das Morgenblatt im
Zusammenhange auf einmal lesen; dein bisheriges
Schweigen ist
Irren.
Eben les’ ich Kolbens neue Auflage „über Sprachreichthum“
und finde sie trefflich. — Du thust mir einen wahren
Gefallen mit
einer Anzeige des Siebenkäs im Morgenblatt. Lesen denn die
Leserinnen den Meßkatalog? Ein neues Buch wird auch
leichter
bekannt als ein altes mit neuen Zusätzen. —
Der reizenden Gemeinde,
die meinen Aposteltag nach
griechischer Sitte so schön durch Tänze
gefeiert, bringe die wärmsten Grüße und außer diesen der
Andäch
tigsten, Sophie, noch meinen = deinen Handdruck und ersuche
sie
um einen schwesterlichen Bannstrahl gegen den
wetzlarisch-zögernden
Buchrichter, auf dessen Gedanken ich mich schon so lange
vergeblich
gefreuet. — Fr. v. Ende auf
ihrer Durchreise — nach Italien —
erzählte mir aus Schelvers
Briefen die medizinische Grausamkeit,
daß man den kranken Auth
gefangen gesetzt, und die noch größere,
daß man ihn durch einen fremden Arzt magnetisieren
lassen; woraus
wie natürlich, so lebengefährliche Zufälle
entstanden, daß man ihn
nur durch Schelver retten können. Ich schwöre sogar auf der Md.
Schelver Unschuld; weil ihre Schuld sonst auch
der Mann theilen
müßte. — — Murki ist ein lustiges
Tonstück, wo der Baß immer
in Oktaven trommelt, und
ich spielte in meiner Kindheit selber
dergleichen. — Der
Unterschied, um und über etwas
weinen, liegt
deutlich in den Vorwörtern; so um einen klagen, der verloren ist,
und über einen, der eben quält. — Grüße die Paulusischen und
sage dem Vater, daß ich mit Bewunderung seines Wissens
und
Scharfsinns jetzo den Kommentar über das
N[eue]
T[estament] lese.
Schlegel hat sich 〈seiner Eitelkeit〉 die dießmal nur
sophistische Sophie
aufgeopfert, die nun weder Jungfrau, noch Ehefrau, noch
Wittwe,
noch Liebende, nicht einmal Geliebte ist und
die nichts Neues in ihrer
Ehe erlebt hat als — Masern,
das Sinnbild des Mannes selber.
— An deinen
herzigen Bruder werd’ ich deine Briefe darüber schicken;
nur warte noch, bis ich selber einen dazu zu schreiben
Zeit bekommen.
— Jetzo arbeit’ ich an einem Aufsatze für
das Morgenblatt 1819.
Meine Lebenbeschreibung kommt spät; sie erfreuet mich
wenig,
weil ich darin nichts zu dichten habe und ich von jeher
sogar in
Romanen ungern bloße Geschichte — ohne
die beiden Ufer des
Scherzes und der Empfindung — fließen
ließ und weil ich nach
niemand weniger frage als nach
mir. Ich wollte, ich könnte dir
mein Leben erzählen und
du gäbst es stilisiert heraus. Aber ich
werde schon noch
das rechte Fahrzeug für dasselbe finden oder
zimmern. — Den Hesperus wollte Reimer in Heidelberg drucken
lassen; aber ich rieth es ihm ab, um dir 100
pharaonische Plagen
und dem leichtsinnigen Engelmann neue Sünden aller Art zu er
sparen. — Wenn du wüßtest, wie tief
mein 15jähriger Max in den
Homer, Euripides, Horaz, den Tacitus und in die philologischen
Vorstädte schon hineingerathen: du würdest dich
freuen, nach
1½ Jahren einen solchen Zuhörer zu bekommen,
so wie ich mich
auf dessen künftigen Lehrer freue. — Erst
im Aequinokzium entschied
sich das Wetter (und früher
sollte daher kein Wahrsager wahr
sagen) für den lindesten Winter. Blos der Dezember wird, zumal
gerade mit den Christgeschenken, viel Eistafeln
bescheeren. Ich habe
bisher nichts gelitten und auch künftig wenig zu
befürchten. — Der
Frühling wird uns hoff’ ich
zusammenbringen in Baireut, aber nicht
in Heidelberg; denn meine
künftigen Reiselinien ziehen sich seit
wärts, wahrscheinlich über Stuttgart
der Schweiz näher. Wie bin
ich erschrocken, Guter, daß mir deine geliebte
Geburtfeier unbewußt
vorübergeflogen! Aber ohne
Kalendernoten gings mir von jeher
mit jeder Feier so
und die meiner Frau, den 7ten Juny, behielt ich
zuletzt nur durch den ihr gebührenden Heiligennamen Lucretia.
Aber in meinem Herzen hast du bisher viele 29te Oktober erlebt,
und was
Wünsche anlangt, so braucht auch dein reiches keine mehr,
ausgenommen die, welche deine himmlische Mutter für ein —
fremdes thut, damit dieses komme und deine Brust
so seelig erwärme
wie ihres deines Vaters seine. — Hier
grüß’ ich beide herzlich; und
bringe auch Schwarz und Daub und Tiedemann und
andern
Grüßenden Grüße.
Jean Paul Fr. Richter
Wenn ich ohne sonderlichen Witz, ja zuweilen ohne sonderliche
Sprachreinheit schreibe: so bedenke nur, daß ich nicht
blos eile,
sondern auch dich liebe.
Nachschrift der Nachschrift: Über Hamlet hast du köstlich und
genial errathen; wer sich wahnsinnig stellt,
wars und wirds und ists.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VII_476.html)