Von Jean Paul an Heinrich Voß. Bayreuth, 4. Januar 1819 bis 7. Januar 1819.
Brieftext
Gott sei Dank! den 6ten Briefe erhalten.
Länger, mein Heinrich, halt’ ich mein quälendes Muthmassen
über die Ursachen deines längsten Schweigens nicht aus. Den
17ten Novemb. schickte ich dir
meine noch unbeantwortete Antwort
auf deine 3 Briefe. Und
lauter traurige Anlässe deiner geistigen
Unsichtbarkeit
kann ich mir nur gedenken zum Erklären, worunter
Geschäft-Überhäufungen immer noch die bessern wären. Gott ver
hüte, daß dich ein Krankenlager
fesselt, oder daß die Deinigen auf
einem leiden. Ich bitte dich daher innigst, lasse
mir wenigstens
durch eine unserer Freundinnen z. B.
Sophie Dapping, schreiben,
damit doch nur Ein Sternchen aus der Dunkelheit herüber
schimmere,
die für mich über Heidelberg liegt. Auch meine Freunde begreifen
nicht, und sehnen sich.
Bei dieser schwankenden Vergangenheit hab’ ich ordentlich keine
Kraft, dir nur von etwas anderem zu schreiben als von
dir. Ich
dachte nicht, daß ich ohne deinen
Schreibhanddruck ins neue Jahr
übertreten würde. Hätt’ ich
nicht immer so sehr gehofft, ich hätte
schon im alten
geklagt.
Unerwartet zogen die Eistage dieses mal vor meiner Lunge
und
meinem Herzen vorbei, ohne beide feindselig zu
berühren. Ende
künftiger Woche werden noch einige
Schneetage nachkommen;
und dann
wird diese russische Einquartierung friedlich vorüber sein.
Kleine Wetterstiche muß man in diesem winterlichen
Franken nicht
achten.
Von deinem zweiten Bande des Shakespear’s ist mir noch nichts
zugekommen. — Dein Todesurtheil über die Ahnfrau
unterschreib’
ich nicht nur, ich unterstreich’ es mit rother Blut- und
byzantinischer
Kaiserdinte. Blos mehre Blitze der Sprache ausgenommen,
ist
mir diese Ahnfrau eine erbärmliche Scheintodte,
die nicht einmal in
den gemeinen Schauder vor einer
Leiche versetzt. —
Deine frühere Frage über das Bockblut bei Diamanten hab’ ich
richtig beantwortet; ich fand in Lessings antiquarischen
Briefen
B. 11 der opp. S. 241 die
Stelle aus Plinius wieder: hircino
sanguine, eoque recenti calidoque, macerata
(adamas).
Endlich hat das Gestern mein Sehnen gestillt und mir die alten
Freuden wiedergegeben, du Treuester! Wahrlich, in meiner
Wolke
dacht’ ich oft dich oder eines von deinen Eltern
gestorben. Doch
dieß mal hatte nur eine Gast-Freude den Knoten des
Schauspiels
geknüpft und eine andere ihn gelöset.
Jetzt will ich dir antworten mit vieler Vernunft; nur werde jedes
Durcheinander erlaubt!
Um des Himmels Willen überarbeite dich nicht, um etwan eine
Reise machen zu können — die dann am Ende leicht über die Leben
digen hinaus gehen könnte. Nicht
einmal einer Reise, sondern nur
einer
Beschleunigung derselben wegen willst du dir den Körper und
am Ende auch ein BuchNach 10 Jahren ist dir
gleichgültig, ob die Reise früher gewesen, aber nicht, ob
dadurch das Buch weniger gut geworden. verderben, welche beide doch
länger dauern
sollen? Sei mäßig, sogar im Vorsetzen. Du bist noch in
den frischen,
kraftreichen, aber heimtückischen Jahren, wo
der Körperbau sich
ohne Bewegung und Zeichen eine lange Untergrabung gefallen
läßt,
bis er plötzlich mit dem ganzen Boden hinunter bricht und
nichts über ihm übrig bleibt als ein — Hügel mit dem Kreuz; indeß
ältere, zärtere, empfindlichere Naturen, wie meine, schon
vor jedem
kleinsten Übermaße erzittern und jeden Misgriff
des Augenblicks
auf der Stelle durch Schmerzen angeben und
so die Krankheit durch
Kränklichkeit abwenden. — Daß wir
beide uns dennoch sähen, dazu
könnte Gott doch Gelegenheit
geben, wenn ich nach Stuttgart ginge
in diesem Jahre; denn nur zwischen Stuttgart, und
zwischen Mün
chen und Weimar schwank’ ich noch,
aber mit jenes Überschlag.
Deine Briefaushebung soll bald an deinen Abraham gelangen,
aber wahrlich nicht ohne ein warmes Grußwort von
mir.
Cotta hat es nur vergessen mit den S-Aufsätzen. Lies im
Mor
genblatt ja alles davon
hindurch, nicht blos die 12 Briefe. Die
berlinische
Gesellschaft für deutsche Sprache dankte mir dafür, ließ
mich aber um 1 Exemplar bitten. Durch das Zerstücken des Mor
genblattes kam niemand zum rechten
Anschauen.
Mutter, Tochter und Vater Paulus grüße von mir recht herzlich
und sage diesem, daß mein Studium seines
Kommentars so wie das
wiederholte von Lessing mich immer stärker gegen die
neuen Über
christen wie Kanne, Ammon, Harms,
etc.etc. erbittern, wie es schon
mein dießjähriger Neujahraufsatz im Morgenblatte zeigt.
Ach
hätten wir kein anderes Christenthum als in den 4
Evangelien
wörtlich steht — und also keine 3
Christen-Spaltungen, zumal die
abscheulichste, die
katholische — wie viel Blut und Nacht wäre dem
armen Europa ersparet worden!
Lieber Heinrich, den größern Gefallen thätest du mir und den
Nichtlesern des Meßkatalogs, wenn du jetzo schon die
Anzeige des
neuen Siebenkäs im Morgenblatte geben wolltest. Sie braucht ja
nur dürr den Unterschied zwischen dem neuen und alten
auszusprechen.
— Inwiefern glaubst du, daß der
Jubelsenior durch meine Lebens
Beschreibung Licht erhielte? — Machst du es nicht wie
ich und
legst während der Schreib-Pausen ein Blättchen
hin, auf welches du
die brieflichen Materien, die
der Zwischenraum zuführt, mit einem
Worte aufzeichnest,
weil man gerade im Feuer des Briefs selber
sich aller am
wenigsten entsinnt? — Nun lebe wol und grüße zuerst
deine
theuern Eltern, und Overbeck und die leidenden Schwarz und
Thiedemanns und alle übrigen, die mich gegrüßt.
alter
J. P. F. Richter
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VII_492.html)