Von Jean Paul an Caroline Richter. Stuttgart, 26. Juni 1819.

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Brieftext

Stuttgart d. 26. Jun. 〈Sonnabends〉 1819

Heute mußt du einen zweiten Brief von mir empfangen, auf
den du mir noch Antwort schuldig bist. Ich schreibe eilig, damit der
Kutscher meinen unabänderlichen Willen mitbringt. So vortrefflich
der vorige Kutscher war, so abscheulich waren seine Pferde, die mir
jede Stadt wegraubten, weil ich stets um 8 oder ½9 ankam. Und
der gegenwärtige kam mit seinen stärkern Pferden schon gestern um
1 hier an. Also dieser überbringende Kutscher mit seinen
PferdenJeder Kutscher ist an seine eignen Pferde gebunden, die er nur behandeln kann. holt mich; mach’ es bei Eisenhut zur heiligen Bedingung
der Bezahlung und der künftigen Kundschaft. Heute über 8 Tage
den 3. Jul. fährt er von Baireut ab, und ich komme also am Sonn
abende an. Es ist da auch gerade die vierwöchentliche Miethzeit
meiner Wohnung aus (denn unter weniger Wochen wollte Mohr
nicht vermiethen). Jetzo schon mitzufahren wäre unmöglich, zahlt’
ich auch 2 Tage Wartgeld; und was gewänn ich dann an Geld?
Heute holt mich der Herzog nach Stetten zur Herzogin. Noch hab’
ich die Kunstwerke Danneckers und Boisserées und eine wichtige
Hellseherin und viele Gegenden nicht gesehen. Abschiede — Paß —
abzuschreibende und zurück zu schickende Bücher — alles hindert.
Ferner sollst du mir auch etwas auf die Rückreise mitschicken.
Erstlich 4 Krüge Franzwein (denn hier kostet die Flasche 1 Thaler);
und zwar jeden Krug halb von gutem und schlechtem gemischt;
dann 2 Bouteillen Pomeranzensäuferei. Es thäte auch weiter gar
nichts, wenn du ein Stückchen Schinken und ein Paar Hollunder
trauben gut einpacktest, weil der Fuhrmann sich darauf spitzt. —
Und endlich gib dem Kutscher das Beste mit, einen Brief von dir.
Es kommt jetzo viel schöneres Wetter, wie ich schon seit Dienstags
in der ganzen Stadt ausgeklingelt habe.


— — Jetzo eben hör’ ich zu meinem Schrecken, daß auch die Post
mir so wenig einen Brief mitgebracht hat wie der Kutscher. Wie
konntest du dieß thun, liebe Karoline? Wer in der Fremde lebt,
bedarf am ersten der geliebten Stimmen aus dem Hause; aber nicht
so umgekehrt. Ich entbehre euch alle, ihr aber nur Einen. — Ich
selber habe nun, da nichts zu beantworten ist, nicht viel weniger [!]
zu schreiben. Die Herz hab’ ich gestern gesehen, ein junger fetter
Rumpf, auf dem ein eingewelkter Kopf eingeschraubt ist. — Die
Paulus waren bisher verreiset und ich habe sie also immer nur das
1te mal gesehen. — Es trifft sich, daß ich hier fast immer mit Män
nern, höchstens mit deren Weibern zu konversieren komme; mit
Jungfrauen noch nicht ¼ Stunde. — Gestern bracht ich den Nach
mittag mit meinem geliebten Grafen Kufstein im himmlischen
Dorfe Wangen ganz allein zu. — Beantworte ja in dem Briefe, den
der Kutscher mitbringt, meine Fragen über das was ich allen mit
zubringen habe; wahrlich ich wäre sonst in größter Noth. — Will
mir ja sonnabends jemand entgegen gehen: so sei es bis nach
Fantaisie, wo ich gegen 5½ vorbei zu fahren gedenke und man sehe
immer zum Fenster heraus. — Meinem guten Max hab ich für seinen
schön geschriebnen Brief noch gar nicht gedankt. — Du hast mir
nur 2 Briefe geschrieben und ich dir hier den 4ten. Grüße Otto und
Emanuel sammt Frauen. — Die Seeligkeiten des ersten Heidelbergs
und des Manheims mit Rhein und Musik und Frankfurts fand ich
hier — aber ohne Schuld so vieler liebenden Menschen — nicht zur
Hälfte. — Nun so lebe denn wol! Ach wenn du nur an mich armen
Teufel geschrieben hättest!

R.

Textgrundlage

Jean Pauls sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 7. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1954.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

H: Berlin JP. 3 S. 4°; 4. S. Adr.: Frau Legazionräthin Richter, Baireut. J: Nerrlich Nr. 174×. A: IV. Abt., VII, Nr. 199. 280,3 Heute] aus Jetzo 8 der gegenwärtige] aus dieser 15 mitzufahren] aus mit ihm zu fahren 35 weniger] versehentlich statt mehr? oder sollte nicht gestrichen werden? 281,2 eingeschraubt] aus geschraubt

Am 30. Juni abends durch den Kutscher überbracht, der Frau Seeligmann von Bayreuth nach Stuttgart zurückgefahren hatte, s. zu Nr. 533. Der zweite Brief = Nr. 534. 280, 25f. Hollundertrauben: vgl. I. Abt., V, 7, 12. 281, 1f. Henriette Herz, die J. P. von Berlin her kannte, war auf der Rückreise von Italien; J. P. traf sie bei Cotta, s. Persönl. Nr. 274.

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VII_537.html)