Von Jean Paul an Paulowna Maria. Bayreuth, 17. November 1809.

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Brieftext

Durchlauchtigste Großfürstin und Erbprinzessin,
Gnädigste Großfürstin und Frau!

Die freundliche Sage, daß Ihre Kaiserliche Hoheit einiges in
meinen Werken mit Zustimmung gelesen, gab den Muth zum
Briefe und zur Zueignung der „Daemmerungen“ durch die Hoffnung,
daß Sie die Nachsicht für das Gedruckte vielleicht auch auf das
Geschriebne ausdehnen.


Seltsam genug hatte der Verfasser einen entgegengesetzten Traum:
„Er überreichte — so kam es ihm darin vor — persönlich Ihrer
Kaiserlichen Hoheit seine Daemmerungen — Sie erschienen als
„Göttin Aurora, Licht und Rose tragend, und er sagte, indem er
„Aurorens Wagen anhielt und das Buch hinein legen wollte,
„keine Göttin sei Daemmerungen, zumal langen, so unentbehrlich
„als Aurora und er widme Ihr daher seine — Darauf drückte er
„seine Freude über die Erfüllung eines alten Wunsches mit den
„Worten aus, jeder andern Gottheit stehe Unsichtbarkeit besser
„als der Schönheit — Aber Aurora zürnte sehr darüber und sagte,
„Ihr Geschäft sei eben, Dämmerungen zu verscheuchen, nicht zu
„verewigen, denn der Lichtgott Apollo sei Ihr Bruder — Und da
„flog Sie mit Ihrem weissen Gespann schneller den Himmel hinan
„und ließ den Verfasser mit seinen Dämmerungen in der Hand,
„unten im Staunen stehen, welcher Ihr lange nachschauete und
„sogar die Rosen, welche der Unwille unter die andern mischte,
„nicht von Ihren Reizen unterscheiden konnte.“ — —

Zum Glücke erwachte er, ganz erfreuet über den Traum; denn
da Träume nach allen Auslegungen stets ihr Gegentheil bedeuten:
so verkündigt — schloß er — die unwillige Aufnahme eben die nach
sichtigste und am ganzen Traume bleibt nichts buchstäblich wahr
als die Schönheit der Erscheinung.

Möge diese kühne Auslegung von Ihnen erhört und verziehen
werden!


Ihrer Kaiserlichen Hoheit
unterthänigster

Jean Paul Fr. Richter
Bayreuth d. 17. Nov. 1809

Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 6. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1952.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

H: Thür. Staatsarchiv, Abt. Großherz. Sächs. Hausarchiv. 4 S. 4°. K (Konzept): Fasz. 26. 6½ S. (mit Nr. 190). 4° (defekt). i: Wahrheit 7, 145—149 (ohne Datum). J: Jean-Paul-Blätter, 19. Jg., 1944, S. 19f. A: IV. Abt., VI, Nr. 55 und 56. 71 , 19 den bis 20 Hoffnung] aus mir Muth und [nachtr. einige] Hoffnung K 23 entgegengesetzten] verb. in ganz andern K 29 und bis seine] und er eignete sie Ihr zu mit den Worten (die der Traum entschuldige): K 30f. mit den Worten aus] aus und merkte richtig genug an [aus fügte ... bei aus sagte] K 33. 34 ihr K Bruder] danach nachtr. und gestr. und Luna ihre Schwester K da] hier K 72,1 flog] aus entflog aus fuhr K ihrem weissen Gespann aus ihren weissen Pferden K schneller] aus eiliger aus eilend K hinan] hinauf K 2 seinen Dämmerungen] aus seinem Buche K 3 unten im Staunen] aus auf dem Wege K welcher Ihr] der ihr K 5 ihren K 6 ganz erfreuet] aus und freuete sich sehr K denn] gestr. K 7 allen] aus den ältesten K 8f. eben die nachsichtigste] aus gerade eine nachsichtige K 9 am ganzen Traum] aus von der ganzen Träumerei K 10 Erscheinung] aus Gestalt K

S. zu Nr. 190.

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VI_191.html)