Von Jean Paul an Karl Hartwig Gregor Freiherr von Meusebach. Bayreuth, 22. Juni 1810.
Brieftext
Jeden Tag, geliebter Freund und Schriftsteller, beging ich eine
Sünde mehr durch den wachsenden Schein meiner Undankbarkeit.
Dieß ist gewiß anno 1810 mein größter Fehler gewesen.
Aber
Sommers Anfang soll auch Besserungs Anfang sein.
Was hälf’s,
die Ursachen der Zögerung vorzuzählen? Aber Mangel
an Liebe
war nicht unter ihnen.
Ihre beiden Briefe so wie das Geschenk brachten mir nur Rosen
ohne Dornen, anstatt daß es sonst im Leben und Winter so
viele
Dornen ohne Rosen gibt.
Glauben Sie dem namenlosen Rezensenten Ihres Büchleins in
der J[enaischen]
L[iteratur]
Z[eitung]
doch weniger als einem
ehrlichen Briefschreiber mit Namens Unterschrift. Ich
erinnere
mich sogar einer Ihrer als irrig angeführten
Bemerkungen über
den Menschen, wo er offenbar gegen
Sie irrt. Was ich Ihnen
höchstens rathen würde, wäre, da
Deutsche für bloßen Witz und
bloße Ironie zu wenig Sinn besitzen, beide ihnen in der
Schüssel
aufzutischen, aus der sie alles essen, sogar das
Beste — in einem
Romane.
Leben Sie wol! Ich sage nicht: verzeihen Sie mir! Denn Ihr
liebendes — und wiedergeliebtes — Herz hat mir gewiß schon seit
2 Minuten verziehen!
Jean Paul Fr. Richter
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VI_296.html)