Von Jean Paul an Friedrich Ludwig Ferdinand von Dobeneck. Bayreuth, 29. November 1810.

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Brieftext

Bayreuth d. 29. Nov. 1810

Eilig, weil es meine Frau mitnehmen will.

Verehrtester H. Regierungs-Rath! Endlich — leider endlich —
send’ ich Ihnen Ihre drei himmelblauen Bändchen zurück, die den
Leser, wiewol sie ihn auf die rechte Weise in den helldunkeln Vor
hof der zweiten Welt führen, doch an die alte Eintheilung in drei
Himmel erinnern. In diesem [?] Vorhof wohnt mehr Wahres
und uns Verwandtes als man jetzt versteht, da ja sonst alle dessen
Gestalten, wären sie nichtig, nur als Arabesken blos unser Auge,
nicht unser Gefühl berühren würden.


Desto erfreulicher war es mir, daß Sie im alten gläubigen Tone
alles darstellten, ohne es durch Erklärung zu vernichten; sondern
daß Sie selber die Empfindung heilig bewahrten, ohne Rücksicht
auf deren Grund. Da ist sie doch und war da seit der Menschen
Geschichte und bleibt.


Dürft’ ich loben, so würd’ ich außer Ihrer schönen objektiven
Darstellung und Sprache noch die sparsame Auswahl aus dem
Chaos loben, da Sie z. B. aus dem Hexen-Kapitel sich blos vor
der Fluth zu retten suchten und die Ebbe vorzogen — ferner thut
die pikante Wahl aus wenigen, aber alten Quellen wol, zumal mit
dem Urtext. Gegen Ihre Rangordnung find’ ich nichts einzuwenden,
wenn Sie den Phönix verjagen, der, meines Wissens, im Mittel
alter sein Nest nicht erneuerte. Auch das Endigen mit dem Helden
buche und der Rechtfertigung eines solchen Endigens ist ächt poetisch.


Meinen kleinen Anti-Noten — in Zahlen am Rande ausgedrückt
— stehen blos im 1ten Bande (im 2ten nur Eine, im dritten keine,
weil Sie da selber geschrieben) und beziehen sich meistens auf kleine
Sprach-Verhältnisse; oder auf Schreibfehler. Daher ich manche
Worte nur unterstrich, weil ich wußte, daß ich Sie auf nichts auf
merksam zu machen brauchte als auf Ihre — Aufmerksamkeit. —
Im Artikel Kobold hat der Abschreiber oft Kobolt geschrieben. —
Dieses Werk, das einen Dichter so anzieht, sollte sogleich vor oder
nach der Vorrede das Inhalts-Verzeichnis geben. — Auch das zu
bescheidene Über auf dem Titelblatte streichen Sie weg; besonders
da es noch dazu den Irrthum gibt, als ob Sie blos über des
Mittelalters Glauben räsonnieren wollten, anstatt ihn selber dar
zustellen. — Leider werd’ ich Ihnen durch meine Kommata und
Linien nur als Kommatist und Linealist erscheinen; aber dieses
Erscheinen beweiset doch meine aufmerksame Liebe für das Buch.

N. S. Meine Frau ist schon fort zu Ihnen; und erspart mir
also das Couvert; denn ich komme selber.

Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 6. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1952.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

H: Berlin JP. 4 S. 8°. Wohl eine wegen der vielen Korrekturen nicht abgegangene Fassung. K: Dobeneck 29 [aus 30] Nov. B: IV. Abt., VI, Nr. 109. 154,20 da] weil K dessen] aus seine H 21 blos] nur K 22 Gefühl] Herz K 24 sondern] davor gestr. denn H 26 da] aus es H seit] aus mit oder umgekehrt H 31 suchten] aus hatten H 34 Phonix H 155, 3 weil Sie da] aus wo Sie H meistens] aus blos H 6 brauchte] aus hatte H 14 Linealist] aus Linilist H

Der todkranke Dobeneck hatte das Manuskript seines Werks „Über des deutschen Mittelalters Volksglauben und Heroensagen“ übersandt mit der Bitte um Beurteilung; vgl. auch IV. Abt. (Br. an J. P.), VI, Nr. 114.

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VI_397.html)