Von Jean Paul an Caroline Richter. Bayreuth, 15. Dezember 1810.
Brieftext
Liebe! Die Kinder sind heiter und gesund — Odilie ist
immer
bei mir — nur Max machte mir gestern durch eine
sehr komplizierte
Lüge einen harten Schmerz, der ihn aber auch, ohne
besondere
Körperstrafe, von jeder soll geheilet haben.
Odilie hat niemals
seit deinem Wegsein heftig geweint, geschweige getrotzt
und ist
überhaupt köstlich.
— Alles geht in guter Ordnung, weil du wirklich alles in dieser
zurück gelassen; und das Nachkaufen und Herausgeben macht
mir
keine Mühe. Anna macht Essen, Kaffee, Arbeit und
Frühstück und
Fürsorge für Kinder vortrefflich; daher du ihr ein
kleines Geschenk
mitbringen mußt. Sie bleibt sogar kürzer aus als sonst.
Nur fehlt
es ihr nächstens, da sie alles
durchgeplättet und die Strümpfe sogar
aus Mangel andern
Garns mit grobem Zwirn gestopft, an Arbeit,
weil der
Spitzbuben-Weber ihr erst auf den nächsten Montag die
Wolle
zum Spinnen verspricht, so oft sie auch darnach gelaufen.
Gleichwol lauer’ ich ihr scharf auf; sogar neulich über den Verbrauch
des zweierlei Brodes hatt’ ich eine Untersuchung, die aber
zu ihrer
Rechtfertigung ausfiel. — Die Kinder behalten die
alte Lebens
ordnung in allem; nur daß sie am Morgen
blos Brod statt der
Semmel bekommen, weil diese nicht blos
theuerer und ungesünder
(das Neugebackne noch nicht einmal
gerechnet), sondern auch weniger
nahrhaft sind als
Rockenbrod, wie du bei dem ersten besten Arzte
in Altenburg oder aus der neuesten hallischen Literatur Zeitung
und überall erfahren kannst. Und künftig lass’ es
dabei.
Jeder will die Kinder zu Gaste haben. Sogar bei Fischer
mußte
Odilie schon 2mal essen, so wie Auguste schon einmal bei mir aß.
Heute waren Amoene und Paulline
bei mir und ich konnte ihnen
als Hausvater etwas geben; und eben war Emanuel da. Alle
grüßen dich innig; sogar Anna
trug mir ihren Gruß auf, da du
sie eines Grußes gewürdigt. Sie fegt als wärst du da, und ich
nicht.
An mehreren Tagen, wo ich aus der Harmonie aß,
braucht’
ich zu den 24 kr. kaum mehr als 4 oder 6 kr. zuzulegen
und aus
zugeben den ganzen Tag.
Die arme, arme Dobeneck! —
Doch ich fahre im Frohen fort. Der letzte vortreffliche Brief
Ludwigs hat mich sehr erfreuet, und ich weiß nun, daß du
in der
schönsten Seelen-Umgebung wohnst. Meine Weihnachten
werd’
ich, wie seit Jahren mehrere Feste, mit der alten
neblichten
dumpfen Feier
begehen. Es hängt eine große Nacht über meinem
Leben, und
vielleicht nur, wenn die Erde unter meinen Füßen weg
gestoßen ist (d. h. ich in sie gelegt bin), mag mich die
Mitternachts
sonne unter der
weggeworfnen Erde stehend, schön anleuchten; —
und das
sollte sie, dächt’ ich, wol thun können.
Ich sagte oben nicht: der arme Dobeneck.
Schreibe mir, was ich der Magd zu Weihnachten an Geld und
sonst zu geben habe. — Kommen wichtige Briefe an dich: sollst
du sie haben;
andere aber würden, wenn ich nicht ein Paquet für
die
fahrende Post daraus machte, zu viel kosten bei so vielen Kosten,
welche z. B. als bloßes Weggeld über 5 fl. betragen im
kothigen
Sachsen. — Der Bruder der Königin in Preußen
hat mir eine
schöne Biographie von ihr und eine schöne Antwort von sich
ge
schickt, sonst — nichts. — Ich
werde dir nicht oft schreiben, da ich
dir jetzt die
Grundierung der nächsten Zukunft geschickt; auch von
dir
begehr’ ich nicht posttägliche Nachricht. — Brockhausen
[!] soll
dir meinen Aufsatz für die ungedruckte Urania
durchaus mitgeben.
— Fehlt es dir an Geld für die Rückreise: so borg’ es;
durch An
weisung bezahl’ ichs sogleich.
— Du bleibst sonach 3 Wochen aus,
da die Hin- und
Herreise eine ausmacht. Deinem Gewissen und
Gefühle bleibe
die Dauer der Ferne überlassen. Da mein Inneres
ohnehin so
dunkel-trauernd wie ein Trauerzimmer ausgeschlagen ist:
so
kommt es nicht darauf an, welche Hand oder Stunde mehr, noch
einen neuen Flor darin annagelt. Aber ich liebe dich herzlich und
innigst und habe nie aufgehört es
zu thun, obwol manchmal, glück
lich zu
sein, denn ich habe stets dein Wesen von einzelnen That
sachen, das Leben von einzelnen Minuten geschieden und
daher
fort geliebt, auch wo ich gezürnt. Es gehe dir
wol und das Leben
glänze dir in dieser dunkeln Zeit!
Den Ehrenbergischen Brief an Herseel kann ich ohne nähere
Kenntnis der Sache nicht von hier abschicken.
N. S. Sage doch H. Ludwig und Md.
Ehrenberg, daß es bei
mir nicht wie bei andern Leuten steht, sondern daß ich
oft 10 [?]
Briefe zu beantworten habe, die ich nicht
beantworte, aber dafür
hundert Seiten habe, die ich
schreiben muß. Jetzt vollends!
N. S. Ohne Noth sollen keine, auch keine frankierten Briefe an
mich abgehen. Denn ich habe überhaupt nicht viel Lust
aber viel
Zwang, zu schweigen.
Schreibe mir den Ort deiner Perlen und Steine, der Feuers
Gefahr wegen.
Da Personen in Minna’s Zustand am leichtesten argwöhnen:
so
nimm in deinem Betragen gegen Brockh. darauf Rücksicht, damit
sie dich nicht für sich halte.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VI_408.html)