Von Jean Paul an Caroline Richter. Erlangen, 6. Juni 1811 bis 7. Juni 1811.
Brieftext
Meine liebe gute Caroline! Wie einen jetzigen schönen
Morgen
hab’ ich endlich deinen lang’ ersehnten Brief
erhalten. Jedes Wort
aus dir war mir süß. Zum Glück’
erhielt ich ihn nicht abends,
wo ich mich sehr und
beklommen nach dir und Kindern sehne. Ich
aß nämlich bis hieher jeden Abend zu Hause, allein, ein
Stückchen
Käse und Brod (aber Mittags desto
derber).
Ich will aber von vornen anfangen. Max war unterwegs so
zart, gefällig, vorsichtig, genügsam, alles liebend, alles
ordnend
(er vergißt gewiß nie etwas auf Reisen) und
überhaupt so gut,
daß ich sah, ich könne die Früchte der
Erziehung meiner Kinder am
besten — auswärts pflücken und wie sehr sie besser sind
als sie oft
scheinen. Er schlief die Nacht angekleidet ohne Bettdecke so fest
wie ein Todter; am Morgen war er rasch — und sein Abschied
wollte den ganzen Tag nicht aus meiner Seele gehen. — Mein
Quartier ist nicht so wie ichs gewünscht sondern sogar noch besser
— die 3te Stube, die für dasselbe
Geld mit dazu gemiethet war,
nahm ich nicht einmal
an. Alles mein Heer von Bedürfnissen ist
befriedigt —
sogar das Bett ist recht und wie meines — die Magd
der
halbalten Mad. Schilly kommt wenn ich klingle und ist
ehrlich
und hurtig und macht Kaffee und Bett wie ichs haben will.
Der
Gastwirth Toussaint, der
mich schon früher kannte, erfüllt mir
jeden Wunsch so wie der dienstfertige Prof. Mehmel. — Ich habe
noch bei niemand gegessen, bin blos bei den Prof. Mehmel, Hilde
brand und Ammon gewesen, habe aber einen Wust Menschen
gesprochen. Am Morgen wohnt der Himmel in meiner
einsamen
Stube voll Bücher und ich bin so heimisch aber
einsamer da als
in Bayreuth. In den Welsenschen Garten, der mir
ohne Schlüssel
und ohne 6 kr. offen steht (eines von beiden muß man
sonst mit
bringen), ging ich während
der großen Pfingstkirchweih, die dir
Otto ohne Dinte malen kann. Diese Garten-Terrasse ist der
einzige
Naturthron der bettelhaften UmgebungIn Rücksicht der Spaziergänge.
Erlangens; indeß doch
tief
unter allen Schönheiten Bayreuths. Die Stadt selber ist
eine
der glänzendsten, denn sie besteht aus Einer Hauptstrasse
und einer
Querstrasse, die als ein Kreuzbalken jene
durchschneidet; neben
beiden sind zum Überfluß noch kurze
Sackgäßlein angebracht. Frage
nur Otto. Dieß allein (der Mangel an Gesellschafts-Menschen,
nicht an Gelehrten) würde mich von einem Einzuge
hieher ab
schrecken, zu welchem man
mich bereden will. Das einzige para
diesische, himmlische ist das, was eine halbe Stunde — vor Erlangen
aufhört, der Weg durch das Bambergische. — Ordentlich mit
Sehnsucht werd’ ich an meine vertraulichen Stunden mit
meinen
2 — Stuben, im Winter zurück denken. —
Die Malzen will ich
noch sehen. — Auf Einen Tag geh’ ich vielleicht nach Nürnberg. —
Das Bier ist so gut daß ich ungeachtet des mehreren
Trinkens doch
bisher nie am Morgen etwas spürte; Rosoglio hab’ ich mir,
da
ich weniger zu arbeiten habe, im Ganzen abgewöhnt;
selten ein
Spitzgläschen. Ich bin ungewöhnlich gesund
und scherze häufig in
Gesellschaft. — Ich lege die Feder
weg, um heute einmal besser
als gewöhnlich zu soupieren,
erstlich ein Stückchen Preßsack, dann
ein Stückchen
Dessert-Kuchen. Ach eingeschnittene Kartoffeln, wo
seid
ihr? In einer ganzen Woche keine.
(Setze auch den Wochentag statt des Datums)
Danke Otto für den Kuchen und quäle ihm oder A[mönen]
den
Preis und das Porto eines ganzen
ab (denn der vorige halbe ist
noch unbezahlt). Entziehe ja
dir und den Kindern den restierenden
Kuchen nicht, von welchem bei meiner Ankunft genug
verhärteter
übrig bleiben wird. An meinen Otto und Emanuel, die beide
herzlich grüße, schreib’ ich nächstens. — Ich eile, damit
der Brief
nur heute abläuft. Alle süßen warmen Zeilen des
deinigen hab
ich oft gelesen. Ich will künftig ein Blatt
für dich herlegen und
jeden Tag etwas daran
schreiben, um nicht von der Eile im Genuße
des Schreibens
gestört zu werden. — An Jung hab ich hier Nach
richt erlassen. — Wie könntest du denn
über die Wichtigkeit der
Briefe ohne deren Erbrechen
entscheiden? Schicke mir sie ohne
Couverts des Portos
wegen; hebe aber die Couverts auf. —
Meine 1)
Papiere und 2) Bücher soll die Magd (nicht der Wind)
ausstäuben; an der Ordnung der erstern ist mehr gelegen als der
andern. Meine Stube fertige ja am ersten ab. — Lasse die
Kinder
gar nichts von meinen Sachen, auch nicht von den Büchern
nehmen,
weil leicht die Zettel darin verloren gehen. —
Der Kutscher fährt
prächtig, ist aber eigennützig;
ich bezahlte immer die Zwischen
Freßstücke; gab ihm fünf 24ger Trinkgeld — und er war
recht laut
froh darüber — am Morgen sagt’ er doch, er
werde für das Mehl
von dir noch einige Kreuzer kriegen —
die er auch gewiß wird ge
fodert haben.
— Wieder gestört. — Lieber wenig als zu spät auf
die Post. Lebe wol, wol, liebe, liebe Seele! Das nächstemal mehr
Worte aus dem Herzen als Nachrichten.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VI_489.html)