Von Jean Paul an Emanuel. Erlangen, 11. Juni 1811.

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Brieftext

Erlangen d. 11. Jun. 1811 [Dienstag]

Mein guter alter Emanuel! Endlich gelang’ ich auch zu einer
Zeile an Sie. Gerade Nachmittags, in der Briefschreibe-Zeit, stört
man mich am häufigsten, weil man Vormittags in der Buchschreibe
Zeit es nicht zu thun wagt. — Mein Leben ist so heiter und gesund
als Sie mir nur wünschen können; und dieß ist bei Ihrem Wol
wollen ein Stückchen Himmel mehr als ich verdiene. Nichts plagt
mich als abends das Sehnen nach den Meinigen. — Mein Max
(zum Reisen wüßt’ ich kein herrlicheres Kind) entdeckte kurz vor
Truppach meinen Bruder Balbier in einem Wäldchen; ich hielt,
er kam mit zwei Bündelchen, zeigte mir eine neue Weste und sich
erträglich restauriert. Er gehe nach Culmbach etc., sagt’ er. Ob
er gleich keine Einbuße bei diesem Begegnen hatte: so schnitt doch
lange der Gedanke hart in mir herum, daß der eine Bruder da
freudig fahre und der andere in Wälder-Ecken stehe und ohne
Sonn- und Festtage lebe, die der Stadt-Aermste doch hat. Aber
ihn könnte nicht einmal das große Loos für immer erretten.


— Ich wollte, ich könnte mein Logis aufpacken und vor dem
Hause Fischers abladen; er möchte dann seines behalten. Woh
nungen sind hier, wie mir auch die Malzen sagte, um ⅓ wolfeiler.
— In der ersten halben Woche, worein gerade die glänzende
Pfingst-Kirchweihe fiel, wollten sich doch zu meinem Prunk-Rock
und anderem Prunke meine Pfauenfüße nicht recht schicken, nämlich
die Stiefel daran, wovon der eine durch eine Seiten-Oeffnung, der
andere durch die aufgegangne Vorderspitze mehr von meinen
Lilien-Strümpfen sehen ließ als man zu sehen brauchte. Doch
Donnerstags holten mich die Prunkstiefel ein und ich zeige mich
jetzt mit einigem Schimmer. — Das Volk hier ist friedselig, froh
sinnig und gebildet. Am Kirchweihfeste, das zum ersten mal das
Lagerbier über sie ausgießt, gab es doch, so weit es auch in die
Nacht hinein währte, keine Lager-Bürger, die entweder der Krug
oder ein Prügel hingebettet hätte. Die Bürger haben eine Lese
gesellschaft. Zu Meusels Zeitungskollegien drängen sie sich. Viele
Mägde (nett gekleidet) haben nichts auf dem Kopfe; was aber
so artig steht, daß man einige bei demselben nehmen möchte. —
Das Übrige, Guter, finden Sie in den übrigen Briefen. — Ver
dopple der Himmel meine Freude, d. h. er gebe auch Ihnen meine.


Ihr
alter
Richter

Sprach-Bereicherung: Den Rahm nennen sie hier Kern. „Nun,
so nennt ihr gewiß, sagt ich zur Magd, das was in der Nuß ist
Rahm?“ Ja freilich, wie anders sonst? sagte sie.


Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 6. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1952.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

H: Berlin. 3 S. 8°; 4. S. Adr.: H. Emanuel. Notiz Emanuels: Am 16t beantw. J: Denkw. 1, 238. 196,21 häufigsten] davor gestr. meisten 31 hart] nachtr. 197,7 Lilien-] nachtr. zu sehen brauchte] aus sonst gewußt hätte 8 holten mich] aus kamen 16 einige] aus sie

Truppach: in der Nähe von Obernsees. Bruder Balbier: Adam. Stiefel: Jean Paul hatte sie in Bayreuth liegen lassen, Karoline sie ihm nachgeschickt (an J. P. IV. Abt., VI, Nr. 158). Der Milchrahm wird in der Oberpfalz Kern genannt; daß aber der Nußkern Rahm heiße, stimmt schwerlich.

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VI_491.html)