Von Jean Paul an Emanuel und Christian Otto. Nürnberg, 6. Juni 1812.
Brieftext
Kürzeste Fata vor und in Nürnberg; meinem Otto und
Emanuel gehörig, denen ich bald schreiben werde.
Etwas schöneres als Luft und Himmel und Pferde gabs auf der
Herreise nicht — ausgenommen das fortgehende Sprechen im
Wagen. Mit Seebeck wollt ich ohne Langweile und
Schweigen
nach Rußland reisen. Weder Gesprächstoff noch Wein ging
aus.
Um 8 Uhr langten wir an und konnten den goldnen
Reichsadler
nicht gleich finden, weil wir überall irre fuhren.
Als ich bei dem
Aussteigen von bestelltem Quartiere sprach,
wußten Kellner und
Hausknecht nichts davon, und der Wirth war
nicht da. Am Gast
hof war kein Fenster erleuchtet — das
Erdstock unbewohnt —
miserabler Eingang und Aufsteig ins 2te Stockwerk — eine große
Stube, worin, die Kommode ausgenommen, nichts für die Kleider
und Bücher war, nicht einmal ein Haken — Seebeck wollte
neben
mir logieren; und seine Stube war auch groß und gut
genug wie
meine, nur fehlte der Ausgangthüre das ganze Schloß
und nachher
der Schlosser. Alles wurde wie auf Berge mühsam
herauf ge
schleppt, und Seebeck versah als Glöckner in einem fort an der
Thürklingel sein Amt mit schönem Feuereifer und donnerte
dabei.
Doch letzteres mit Unrecht; denn daß der kurze
Kellner mit dem
Zucker zu seinem Selterwasser zu lang
ausblieb, da war nur dieß
schuld, daß sie im goldnen Adler
gar keinen hatten. Es wäre zu
weitläuftig, alle die
ehrenrührigen Namen vorzuzählen, welche er
dem Prof. Schweigger zuwarf; bei Hasenfuß u. s. w. fing er an.
Er wollte auf der Stelle wieder einpacken. Ich, der es nicht
einmal
nöthig gehabt hätte, da wegen der allgemeinen
Langsamkeit und
Lauferei noch nichts ausgepackt war nach ¾
Stunden, spielte meiner
Gewohnheit gemäß das Lamm und
blieb sedat und sagte, zum
Übereilen hätten wir morgen noch
Zeit genug. Er kann meine andere
Bemerkung bezeugen, daß ich
kein besseres Zeichen einer nächsten
schönen Zukunft kennte
als wenn man in der ersten Stunde in einem
Gasthofe es
miserabel habe; und daß dieser desto mehr verspreche,
je weniger er verspreche.
Jetzt kam der Wirth endlich, ein höflich-junges Männchen —
darauf Schrag, an welchen ich im
Jammer geschickt — dann gar
Schweigger, welcher meinen letzten Brief, der Freitags erst Nach
mittags aufgegeben worden, um 1 Posttag
zu spät bekommen.
Vieles ging nun gut und Seebeck blieb, weil ich ihm
mein
Zimmer statt eines Schloßes gab und tiefer zog.
Am Morgen zog er aus; und da die Zwei gilt, errieth ich alles
und ging hoffend auf mein Ausziehen zur Gräfin Monts. Die
recht
zu ehrende Frau liegt seit 8 Wochen an Faul-, dann Schleim-,
jetzt
Wechselfieber bis zur Entstellung krank! Ich
trug meine Noth vor;
— und kurz, sie machte mich glücklich,
denn ich theile jetzt (aber
schwerlich komm’ ich ihr künftig
wieder so nahe) jetzt mit der Sophie
Kettenburg Zimmer, Kammer und Bett; und logiere köstlich auf
dem Roßmarkte bei
Mad. Krause
N. 322 dem goldnen
Reichsadler gegen über und habe so viele
Schubladen,
Wandschränke, Wandhaken und so gute Leute, daß
mir eben
nichts fehlt sondern daß
Erlangen sich wiederholt nach
meiner Zwei durch ein
Freuden-Echo.
Während meines Einspruchs bei der Gräfin besuchte mich Jacobi
um 10 Uhr, der schon um 9 Uhr nach einer stärkern
Überreise
angekommen war und der briefmäßig erst um 2 Uhr
eintreffen
wollte.
Um 11 Uhr hatt’ ich ihn an meiner Brust. Ich hielt einen alten
Bruder und Bekan[n]ten meiner Sehnsucht
in den Armen. — Kein
Weltmann außer im schönsten Sinne
— der stille edle Alte — —
Mir war als säh ich ihn blos wieder — Überall Zusammenpassen
—
Sogar seine Schwestern gefielen mir — Abends gingen diese ge
wöhnlich zu Bette und ich saß allein neben
ihm und sie baten mich,
ihn nicht in seiner Kindlichkeit zu
lange fortsprechen zu lassen, und
setzten doch die Bouteille hin — Sie wurde nicht angefangen oder
angebrochen und ich schonte ihn — So ging es in Einem fort —
Vor
gestern (Freitags) fuhr ich
mit ihm nach Erlangen sammt vielen
andern Nachfahrern und halb Erlangen
aß oben im Welsischen
Garten. Das Übrige in ordentlichen Briefen; denn hier fehlt
nicht
nur mehr Licht, auch Schatten. Heute Sonnabends entflog er.
Es ist unmöglich, den alten Mann nicht zu lieben; und sogar sein
philosophischer Feind Hegel liebt
ihn jetzt.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VI_648.html)