Von Jean Paul an Alexander I., Zar von Russland. Bayreuth, 22. April 1814.
Brieftext
Allerdurchlauchtigster, Großmächtigster Kaiser und Selbstherrscher,
Allergnädigster Kaiser und Herr!
Mitten in der erhabenen Zeit, da Eure Majestät der
Schieds
richter Europens〈-as〉 sind wie
vorher der Befreier desselben, und
Sie aus dem Schutzgeiste des Kriegs und Siegs der
Schutzgott
des Friedens werden, tritt eine kleine
Angelegenheit (mit einem
kleinen Buche) vor Ihren Thron.
Doch wie dem Geiste nichts zu groß ist, so ist der Güte nichts zu klein.
Vielleicht wurde dem erhabenen Gönner der Deutschen und der
Wissenschaften der Name Jean
Paul bekannt, der seit einigen Jahr
zehnden von den Deutschen gelesen wird und dessen Bittschrift Eure
Majestät eben lesen.
Er war arm geboren und vom Geist mußte der Körper leben —
wie
öfter umgekehrt — so lange bis endlich ein einziger deutscher
Fürst, der vorige Großherzog von Frankfurt, ihm eine
Pension von
1000 fl. bewilligte (und ihn unter den Kriegsjahren des
eingesunknen
Buchhandels aufrecht erhielt.)
Nach der für Europa beglückenden verbündeten Besetzung des
Großherzogthums im Herbste wurde das Herbstvierteljahr der
Pen
sion noch vom Gouvernement bezahlt, aber die Fortbezahlung des
Wintervierteljahrs wurde von demselben verweigert.
Zum Glücke bleibt mir eine größere Hülfe und Freude übrig als
mir entzogen wird; es ist die Hoffnung auf das Herz und auf
den
Geist
Alexanders zugleich.
Ich wende mich an dessen Herz, da die wolwollende Vorsehung
gerade im Jahrhundert des Egoismus die Menschenliebe auf den
höchsten europäischen Thron gesetzt. Ich wende mich an dessen Geist,
der Geister beschützt und welcher, da er kein anderes großes
Reich
mehr zu vergrößern hat als das größte gränzenlose, das der
Wissen
schaften, dem Norden
auch geistig-längste Tage zu den geogra
phischen geben will.
Ich wende mich an den, dessen Zepter dem Magnete ähnlich ist,
welcher zugleich liebend anzieht und lehrend die Gegenden des
Himmels zeigt.
Empfangen Euere Kaiserliche Majestät gnädigst mein
neuestes
im Dezember weißagend geschriebnes Buch, das sich
vor meinen
übrigen Werken durch das Verdienst auszeichnet, das kleinste
zu
sein. Ein Beherrscher großer Reiche und großer
Begebenheiten hat
nur Zeit, der Leser kleiner Bücher zu sein.
Das Werkchen ist scherzhaft gegen diejenigen geschrieben, welche
von Ihnen besiegt und dann beglückt wurden. Ernste Werke
für
deutsche und europäische Freiheit schrieb ich schon zu
einer Zeit, wo
die Gefahr drohte, von einem Davoust rezensiert, nämlich ein
gesperrt zu werden.
Genießen Euere Majestät lange die einzige dauerhafte
Universal
monarchie, die durch Liebe —
nachdem Sie die hassende und ge
haßte
gestürzt — und lange weine die Freude vor Ihnen und erst
spät
die Trauer nach Ihnen.
Baireuth d. 22. April 1814
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VI_863.html)