Von Jean Paul an Johann David Mumenthaler. Bayreuth, 27. August 1814 bis d. 28 August 1814.

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Brieftext


Baireuth d. 27. Aug. 1814

Mein Dank, Guter! blieb lange aus, obgleich jeden Tag mein
Gaumen mein Herz anpredigte, indeß sonst umgekehrt dieses jenen
zur Rede setzt. Gleichwol bleib’ ich dabei, daß Ihr alter Käse
schmackhafter und kräftiger ist als die neueste Schweiz. Denn ich
bin — mit Deutschland — mehr auf Görres Seite als auf Zschok
kens. Die Schweizer sind jenseits der Schweiz keine; — so wie alle
Republikaner, die Engländer ausgenommen, nichts für fremde
Freiheit thun und alles nur für eigne. Gott wird doch endlich eine
Zeit und einen kosmopolitischen Fürsten schicken, welcher, wie Gott
selber, nichts auf der seelarmen und leibreichen und leibeignen Erde
frei machen will als diese selber ganz.

Sie sehen aus meinem Beispiel und Briefe, wie man mitten aus
den wärmsten und dankbarsten Gefühlen weit abkommt in die ver
dammte Politik hinein.


Ihr frohes Briefchen hat mich sehr erquickt. Immer sehnsüchtiger
wünsche ich mir die Stunde Ihres Anblickes. Sie wird gewiß
kommen; denn die Schweiz — zumal die steinerne — muß ich sehen,
ehe ich selber unter dem Stein liege. Und Sie freilich zuerst, denn
Sie gehören mir zu keinem Lande als zu dem größten.

gestrichen: Da Sie mich einigemale daran erinnerten...
d. 28 Aug.

Gestern unterbrach mich mein und Thieriots Freund, Emanuel,
der Sie so liebt wie ich, was viel sagen will. Wahrscheinlich wollt’
ich im Ausgestrichenen sagen, daß ich — woran sehr Ihre Wünsche
und Fragen schuld sind — zur Oster-Messe den zweiten Theil der
Blumine gebe. Gesammelte Arbeiten, bei welchen ich nur leichte
neue habe, werden mir sonst lästig zu geben.


So leben Sie wol, trefflicher Mann, der mir wol noch Ein Ge
schenk — und das köstlichste — machen könnte, nämlich das seines
Gesichtes, und wär’ es nur ein Schattenriß! Das Herz begehrt
in der unentscheidenden weiten Nacht der wärmsten und feurigsten
Phantasie die feste bestimmte Gestalt.


Ihr
alter
J. P. F. Richter

Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 6. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1952.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

K (nach Nr. 921): Mumenthaler 27. 28 Aug. i: Wahrheit 8, 31. *J: Alpenrosen Nr. 5. B: IV. Abt., VI, Nr. 244. 397,31 Briefe] so K, Beweise J 398,8 Th***ts J

Mumenthaler hatte wieder Käse geschickt, vgl. Nr. 902f. In B hatte er dem Beichtkinde scherzhaft Absolution erteilt (vgl. Nr. 877) und ihm als Kirchenbuße auferlegt, „nie mehr Eine Partey unverhört und leichtlich verdammen (zu) helffen“, wie er es mit seinem Vorwurf gegen die Schweiz getan habe. (Jean Paul hat zur Erklärung beigefügt: In meinem Brief war eine Stelle gegen die Schweizerische Gegen-Bundgenossenschaft in Betreff der Verbündeten.) Görres hatte damals im Rheinischen Merkur den Anschluß der Schweiz an Deutschland verlangt und die von Zschokke geleitete, mehr zu Frankreich neigende Aarauer Zeitung heftig angegriffen. (Vgl. Albert Renner, .,J. Görres und die Schweiz“, Diss., Rorschach 1930, S. 40ff.) Engländer ausgenommen: vgl. I. Abt., XVII, 210; es ist bezeichnend, daß J. P. die Engländer zu den Republikanern rechnet.

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VI_920.html)