Von Jean Paul an Johannes Perthes. Bayreuth, 3. Dezember 1805.
Brieftext
— Archenholz nur zuweilen vom 7jährigen Kriege geblendet,
so wie von der Elbsperre überreitzt. — Hamburg etc.
sind noch die
Arterien des deutschen Reichskörpers, weiter herein gibts nur
Venen
und lymph[atische]
Gefässe. Oe[sterreich] verdient keine
Erhaltung,
da es seine Unterthanen mit einem ewigen geistigen Krieg
überzieht
und belagert, und aus Mangel an Köpfen gehen ihm
nun die Arme
verloren. Aber das übrige
Deutsch[land] hat noch beides. Ich
finde
in der alten Geschichte, daß Cäsar zwar Gallien besiegte, aber
nicht
Deutschland. In deutschen Regierungsformen ist doch deutscher
Geist
nicht nothwendig eingescheidet. Schon unsere deutsche
gelehrte
Republik und Kosmopolitie wird ihm und seinen
Flammen Ort und
Nahrung und Thron verleihen. — Bei den
Alten waren die Dichter
Geschöpfe der Regierungsform, jetzt sollen sie Schöpfer
derselben
sein? Sie werfen [ihnen
mit] Unrecht vor, daß sie über Einkleiden
Verkörpern vergessen. Jede Kunst, das Handeln etc. fodert ein
ganzes Leben, und hier ist weiter keine Frage als alles oder nichts.
Demosthenes war auf der Rednerbühne tapferer als auf der
Schlacht
bühne, und dort ein siegendes Heer, da ein
fliehender Mann. Ein
Dichter als solcher wirkt auf den
Weltkreis, sein Mensch auf den
Familienkreis. Wahrlich in
dieser tiefer einsinkenden Zeit, über
diesem Morast voll Nebel
halten beinahe nur noch die Schriften das
Große, Gute,
Wahre, Schöne wie mit Flammen und im Aether
aufrecht und
emporgehoben und in Bibliotheken wird einst die Auf
erstehung der geistig Todten sein und ein 1000jähriges Reich
an
fangen hinter dem deutschen. —
Übrigens theil’ ich alle Ihre patrio
tische Gluth und knirsche so oft mit den
Zähnen als irgend ein
Deutscher. Alle meine Werke sind
wie mein Leben Freigeborne, keine
Sklavenkinder irgend einer
knechtischen Absicht; darum blieb ich
auch arm. Taug’ ich in
Ihren Bund eben so gut mit meinen Kräften
— bloße poetische
thuns nicht — als mit meinen Gesinnungen,
welche die Ihrigen
sind: so will ich gern ein Dorn, ein Stiel, ein
Blatt in diesem
Kranze sein.
Daß Jacobi, dieser philosophische Bartstern, so nahe an
mir
Nebenplaneten 〈Satelliten〉 vorüber und bis nach Schwaben
lief,
ohne mir die Feuertaufe der Gegenwart zu geben: dieß thut mir
fort
wehe. Freilich wird er 100 Gründe gehabt haben, aber der
Mensch
hat zu allem Gründe — und recht wahre und aufrichtige
— was er
eben nicht will. Würd’ ers wollen, so fänden
sich leicht 101 Gegen
gründe. Kommt aber
Frühling und Friede: so ahm’ ich J[acobi]
nicht
nach sondern komme.
Antrag der Erziehungslehre wie Vorschule, nur daß er mir die
5 Ld. auf einmal zahlt.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/V_171.html)