Von Jean Paul an Paul Emile Thieriot. Bayreuth, 11. Dezember 1807.

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Brieftext

Bayreuth d. 11 Dec. 1807

Mit Geldern sollt’ es so sein wie leider nur mit Briefen, daß man
neue bekommt, wenn man die alten nicht hergibt. Es kommt auf
Sie an, ob ich nicht noch zehn neue um meinen alten schreiben muß;
den ich noch dazu nur geliehen verlange. Heute im Bette fiel mir
ein, daß ich nicht ohne einige Ansprüche auf einen Brief von — mir
wäre.


Ihre Studtgarter Verpflanzung auf sechs Monate war längst
mein Wunsch. Denn niemand als ich hat den Vortheil dabei, daß
Sie mich lesen, weil Sie jetzt bloß Manuskripte d. h. Briefe lesen
und folglich meine Aufsätze für das Morgenblatt so wol bei dem
Zensor als Setzer in Studtgart vorfinden. Aber ernsthaft: Ihrem
geistigen Leben ist wie jedem der zusammenhaltende Antagonismus
eines bestimmenden Amtes nöthig. Nichts gibt mehr Kräfte als die
Nothwendigkeit, welche vom schwankenden Umhergleiten auf gei
stigen, zumal musikalischen Genüssen erlöset. Die besten Werke des
Geistes sind durch Noth und dringende Gelegenheit entstanden.
Auch ich habe meine Aemter; jedes neue Buch ist ein Amtsposten,
den ich so lange bekleide bis es fertig ist, um bei der Nachwelt und
(mit vier Mägen mehr) jetzt schon zu leben.


Gebe der Himmel, daß Sie zugleich in noch etwas schöneres und
längeres treten als in ein Amt; damit das andere Wesen, von dem
mir leider Emanuel nur die Berichte, nicht aber die in Händen
habenden Dokumente des Werthes gibt, jene wie Gift das weibliche
Herz zerfressende Unbestimmtheit des Sehnens nicht mehr zu er
dulden habe. Die Ehe zeitigt den Mann; aber nur einer kann sich
dazu entschließen. Schöne Gelegenheiten, Seinen Liebling-Pestalozzi
zu treiben und zu dozieren, weiß ein Mann mit der Zeit schon zu
finden und zu machen und er wird es zuletzt gar nicht satt, diese
Erziehungs-Methode immer weiter zu verbreiten.


Leben Sie wol! Ich liebe Sie mit alter Liebe und neuen Wünschen
für Ihr Glück. Bringen Sie Eva meinen achtenden Gruß!

J. P. Fr. Richter

Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 5. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1961.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

H: Berlin Varnh. 213 (derzeit BJK). 4 S. 8°. K: Thieriot 11 Dec. J: Denkw. 1,478×. 184,26 wie bis Briefen] als es leider nur mit Briefen ist K 30 einigen Anspruch K 185,7 zumal musikalischen] nachtr. H 8 entstanden.] unten auf der hier schließenden zweiten Seite gestr.: Gott weiß wohin diese Note zu linieren ist; aber ich weiß, H 10 es] er K 11 mit vier Mägen mehr] aus mit fünf [aus meinen] Mägen H 12 zugleich] aus dabei H 17 zeitigt] aus reift H 18 Schöne] aus Die H Seinen] aus Ihren H 20 zu machen und er] nachtr., davor gestr. vorher H zuletzt] nachtr. H 21 Erziehungs-] aus Lehr- H

Der Brief wurde durch Emanuel spediert, s. Nr. 444. Thieriot hatte anscheinend die ihm von Wangenheim vermittelte Stellung in Stuttgart (s. zu Nr. 270) vorübergehend doch angetreten. Er hatte den Brief Nr. 264, um dessen Rücksendung zum Kopieren Jean Paul gebeten hatte (113, 17–19), noch nicht zurückgeschickt.

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/V_442.html)