Von Jean Paul an Paul Emile Thieriot. Bayreuth, 13. November 1806 bis 14. November 1806.
Brieftext
Es ist freilich einerlei, was ich Ihnen schreibe; aber eben dieß All
macht die Auswahl schwer — und doch ist jede eben darum
gleich
gültig, weil der
Leser, vom Gegebenen hingerissen, gar nicht Zeit
an das zu
denken hat, was man ihm nicht gegeben. Da ich mir immer
in
meinen Werken solche All-Räume aufmache: so weiß ichs recht
gut.
Gewöhnlich setz’ ich in mein Schmierbuch, wenn ich einen Brief
mache, die partes orationis dessen
zwischen Strichen, als z. B. die
dieses Briefs so hin:
Beschneidung des Papiers — Levana —
Druckfehler — Predigten — zweimal — Eva — Göthe —
Krieg.
(Bei Gott, so stands und stehts.) Dann handl’ ich einen
Punkt nach
dem andern ab und vergesse nichts, wie ich auch
hier verhoffe.
Nicht aus Höflichkeit beschnitt ich das Papier, sondern aus Geitz,
um Porto und Abschnitzel zu ersparen. — Meine
Erziehungslehre
heißt auch Levana, ist aber noch nicht ganz hier
angekommen. Ich
erlebte wieder an ihr den mir seit zehn
Jahren anklebenden Schmerz,
daß mir unter dem Gebären
nichts gefiel, sondern erst jetzt alles. Nur
aber 60 Fehler
ausgenommen, nämlich Druckfehler, welche der
sperrende Krieg
durchaus in Bayreuth festhielt. Ich meine, ich
konnte kein Erraten-Verzeichnis nach Braunschweig bringen,
um es
beibrochieren zu lassen. Dieß leitete mich auf die frohe
Idee — und
so gebiert mir immer ein Werk ein Werkchen,
z. B. die Aesthetik —,
die Corrigenda besonders zu geben,
sie noch mit denen der Flegeljahre
zu bereichern und alles in Kapitel zu ordnen und dem
Filialwerkchen
eine (jetzt schon abgeschriebene)
Scherzvorrede von 24 Seiten (die
<die Vorrede> Sie
über die Levana stellen) mitten unter den Vor
beitönen der Franzosen
anzuhängen. Es ist viel Einkleidung in der
Vorrede. (Der Titel ist: Ergänzungsblatt der etc.) Ganz am
Ende
werd’ ich noch zusetzen (mich freuet das bloße
Vorausdenken): „Die
Druckfehler, welche wegen der
Entfernung des Verfassers vom
Druckorte sich in die
Druckfehler sollten eingeschlichen haben, bittet
man
den geneigten Leser zu übersehen und zu verbessern.“
Wissen Sie denn, wie ich immer stärker an die Zwei glaube?
z. B. Freiheitsbüchlein, Ergänzungsblatt. So ist z. B. der jetzige
Krieg das Ancora des vorigen; da aber die Russen schon
ihrem An
cora erlegen sind: so ist jetzt die
Drei ihre Hoffnung des dri Madera. —
Mein nächstes Werk heißt: PredigtenTauf-, Trau-,
Leichenreden — Predigt-Entwürfe, z. B. einer Leichen predigt auf einen noch lebenden Hund, dessen Hütte ich
in der literarischen, poli tischen
etc. Welt oft genug schwarz oder roth gesehen. und Predigtentwürfe.
Ich kann niemanden einen Begriff davon geben, ohne Papier
und
Zeit aufzuopfern. Es sind viele All-Räume darin.
Überhaupt find’
ich immer mehr, daß ich meine Exzerpten
nicht so wachsend benutze,
als sie wachsend — wachsen,
hätt’ ich beinahe gesagt — anlaufen.
Himmel, worauf
könnt’ ich nicht anspielen, wenn ich mich umsehe
nach
meinen Papieren rechts! Warum bleib’ ich mager und das
Fett
steht neben meinem Kanapee im Bücherbret? — Eva grüß
ich innigst und sie soll so gut sein und Sie so lieben,
daß Sie welt
klüger werden und noch weit
mehrere feine Lebens-Fühlhörner aus
strecken lernen als Sie schon zu haben hoffen. Ich
wollte, sie sagte
jeden Abend zu Ihnen: sein Sie bei sich!
— Oder: kann man dümmer
sein <sind Sie gescheut???????? etc. so viele Jahre, so viele Fragzeichen.
—> — Oder: Sie sind nicht zu ändern
— Oder: junges Blut
spar <b’wahr> dein Gut — Oder, was mein
Max immer so
unzeitig sagt: Hans Dampf! —
„Göthe hat Wieland gerettet“ Ich bitte Sie inständig, mir nur
dießmal eine weitläuftigste Geschichte zu geben. Ach die
Armen, die
Guten, die Tapfern! — Aber nicht sag’ ich: die
Klugen! Ich meine
die Menschen der Niederlage.
So weit kam ich gestern; heute kann ich nicht viel weiter, wenn
ich nicht gar wie ich muß über den Brief hinaus schrei-
[
Seiten-
schluß
]
b) Wissen Sie, was ein rechter Herzens Brief wäre?
Ein
ewiger, fortgehender; man will immer sprechen wie
leben und nur
mit dem Gegenstand. Daher muß jedem
Schreiber sein Brief als
P. S. erscheinen und er hat nichts gesagt, sagt
er.
Die Flecken sind keine Thränen, wie man sie oft in Briefen findet,
weil ich keine rothen und grünen zu weinen habe.
II P. S. Auch bitt’ ich Sie, meinen Brief an unser
Frei-Herz und
unsern Frei-Geist Emanuel zurückzusenden, weil ich heute nichts
kopieren können; er will ihn mir leihen.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/V_264.html)