Von Jean Paul an Philipp Konrad Marheineke. Bayreuth, 15. Dezember 1807.
Brieftext
Wol, ich nehme Ihren schönen Antrag an und will künftig die
kritischen Zergliederungs- und Zeidel-Messer an bessere und
schlechtere
Werke ansetzen als an meine. Bisjetzt lehnt’
ich alle Vokazionen für
solche Richterstühle, die oft
selber nur verdeckte Armesünderstühle
sind, aus Achtung der
schweren Pflicht von mir ab. Die schärfste
Gerechtigkeit gegen
das Buch und die heiligste Schonung und
Pflege für den
Verfasser sind nicht so leicht zu verbinden. Die Kritik
kann
leichter Meisterwerke zurückhalten als veranlassen. Denken Sie
daran, was uns einige Rezensionen z. B. gegen Leisewitz
gestohlen
haben. Selber ein Jahrzehend lange gelobte Autoren z. B. Hippel,
Herder ermatten für die Zukunft bei Über-Tadel; wie
leicht ver
welken vollends an einem erst vorkeimenden
Talente die Herzblätter
unter einem kritischen Sonnenstich. Im
noch unbekannten jungen
Autor würd’ ich daher, ungeachtet der
strengsten Würdigung seines
Werks, eifrig den künftigen guten
auszumitteln suchen und die Ver
dammung
durch Auffoderung versüßen. Dagegen aber würd’ ich desto
härter
gegen versteinerte Sünder und Brodschreiber von Rufe sein.
Es ist sonderbar, wie mir schon vor langer Zeit die Ankündigung
einer Heidelberger Literaturzeitung Freude und Hoffnung
gab;
und die ehrenvollen Namen der Redaktoren so wie die
Ordens
regeln unsers
Benediktiner-Bergordens bestimmten mich leicht dazu,
die Ehre der Einladung anzunehmen.
Am liebsten wären mir Werke zum Rezensieren, die entweder
unverdienten Tadel oder unverdienten Beifall erhalten haben.
Solche, wo dieses der Fall nicht war, z. B. die allemannischen
Gedichte sind zu kurz und zu leicht abzuthun, nämlich mit
einem
Freudengeschrei; so wie die entgegengesetzten mit:
schuldig!
Die geldliche Entschädigung für meine Zeit mag die Redakzion
am July erst festsetzen.
Es wäre — ohne besondere Veranlassungen — die Unterschrift
meines Namens eine unschickliche Anmassung, insofern andere
Rezensenten den ihrigen zurückbehieltenThät’ es aber die
Mehrzahl oder ein Viertel, so thu’ ichs auch.. Hingegen auf jede Anti
kritik werd’ ich kein anderes Wort
antworten als die zwei Worte:
Jean Paul; nicht als Widerlegung sondern als Verständigung
für
das Publikum, das ja längst wissen muß, mit welchem
Rechte des
Herzens und der Einsicht dann geurtheilt
worden.
Seit langem trag’ ich den Entschluß in mir herum, nicht nach
Heidelberg zu reisen, sondern gar dahin zu ziehen mitten
zwischen
seine großen Flüße, Städte, Berge hinein; und Ihr Brief hat
den
Entschluß am wenigsten geschwächt.
Hier wohnt ein genialer Arzt — Langermann, Verfasser
des
Buchs über das gelbe Fieber — der wie aus einem Mittelpunkt
nach
allen Alleen der Wissenschaften sieht — —, ich
wünschte, er wäre der
Gesellschaft anzuwerben.
Leben Sie wol!
Jean Paul Fr. Richter
Görre’s [!] „Volksbücher“ kenn’ ich nicht.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/V_447.html)