Von Jean Paul an Karl Gustav von Brinckmann. Bayreuth, 2. April 1805.
Brieftext
Ihr Brief — den ich erst Ende vorigen Monats bekam — hat
mir
viele Freude, obgleich keine neue Bekanntschaft mitgebracht.
Schon in Weimar und in Berlin und
sogar von meiner Frau —
deren Schwester Minna Sie kannte —
wurde mir Ihr Name mit
der Liebe genannt, die Ihre Gedichte rechtfertigen. Ich danke
Ihnen
für Ihren Lebenslauf, worin ein Stück
Lebensflug ist und durch
welchen Ihre Gedichte, die mir durch
ihren rein-menschlichen Stoff
und durch eine in dieser wildernden Zeit seltene Schön-Form
innig
gefallen, noch individuelle Klarheit erhalten. — Jeder
Geist — er
stehe so hoch als er wolle — gleicht ein wenig dem
Tynnichos
Plat. Jon. 534.
und
hat am Ende wie die Sonne doch auf seiner poetischen
Weltkugel
nur ein Ländchen, ein Quito oder dergleichen (so
wie sein Feuerland
ohnehin) wo alle Kräfte und Stralen seines Lebens vereinigt
am
besten treffen und alles hervortreiben zu Einem
Garten. Jeder hat
einen andern Grad der Länge (nicht der
Breite). Ich glaube nun,
eine idyllische Darstellung des
vornehmen Lebens, das so gut als das
niedere durch Absonderungen poetisch zu verklären ist, müßte
Ihnen
sehr gelingen — jetzt, nicht sonst. Denn mit der
Überschätzung desselben
beginnt man, darauf kommt die
verkennende Verachtung, endlich
bleibt man im Tag- und
Nacht-Ausgleichen stehen.
Mein Hoffnungs-Axiom war bisher: „ich begegne am Ende
jedem,
und wär’ er in Eutin, wohin mich die siberische Haide gewiß
nie lässet“ Und ich hatte Recht; denn Jacobi zieht nach München.
Eben so werd’ ich Wandervogel doch wol einmal mit einem
wie Sie
mich kreutzen, dessen linker Flügel einem Tropik-,
dessen rechter einem
Eis-Vogel angehört; das Gegentheil wäre ja
närrischer als der
Zufall.
Frau v. Kalb aus Weimar, welche ich
wie Descartes die Erde,
eine inkrustierte Sonne nennen möchte, ist in Berlin. Fichte oder
mein Schwiegervater sagt Ihnen ihre Wohnung.
Es würde mich in jedem Falle sehr erfreuen, wenn Sie etwas über
mich entweder dem Publikum gäben oder mir oder beiden.
Je mehr die Leute das Leben nur zu einem Anhängsel der
Lebens
Mittel machen: desto mehr erfreuete mich Ihre
Versicherung,
daß Sie das Leben selber zu einem Kunstwerk
machen und folglich
das Übergewicht der Individualität im
Rein-Menschlichen theils
vernichten theils ausgleichen theils
benützen. Die Aufgabe aber ist
gerade so schwer als die der
Annäherung des Endlichen ans Unend
liche —; denn es ist eigentlich dieselbe.
Was hätte man noch zu sagen, wäre Papier und Zeit nicht so
theuer, eigne und fremde? Aber wie gesagt, ich begegne Ihnen.
Es geh’ Ihnen wol!
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/V_92.html)