Von Jean Paul an Johann Wilhelm Ludwig Gleim. Leipzig, 8. August 1798.
Brieftext
Mein guter theuerer Vater! Es wird lange, bis dieses warme Wort
über so viele Stazionen zu Ihnen gelangt, und ich möchte lieber es
an Ihrem Tische sagen als an meinem. —
Dieses Blat wurde nur durch die für die „Ruhestunden“ bestimte
Satire verspätet, die ich stat an H. Nachtigal an Sie
geschicket hätte,
wenn ich Ihrer Anwesenheit gewis gewesen wäre. Fodern Sie sie
von
ihm zum Durchblättern, weil ich gegen den ästhetischen
Kopfabschneider
Schlegel, der im 2ten Stük des Athenäums auch an meinen die Bein
säge wüthend ansezte, in einer
Note einige Fingerspizen vol Fliegen
und Wanzentod ausgesäet habe.
Der 2te Band der Palingenesien ist noch nicht volendet:
doch
möcht’ ich Ihr Urtheil über den ersten.
Erst nach meiner ganz nahen Reise nach Weimar und Gotha weis
ich über meine künftige nach Halberstadt den Willen des Geschiks.
Ach ich war sehr glüklich an Ihrem warmen ganzen festen Herzen,
guter Gleim! Meine höchsten Entzückungen bei Menschen werden
immer zu sehr durch moralische Mistöne gestört; aber bei Ihnen
wurden sie blos von der reinen Melodie reiner Seelen
begleitet! Sie
sind tief und fest in meinem Herzen mit
Ihrem feurigen, geliebter
Vater! Und Ihr neuester Freund trägt
und bewahrt Sie darin so
warm, wie Ihr ältester!
— — Sonderbar! In dieser Zeile komt Ihr liebes Briefgen. Ich
danke für Ihre Fragen: ich kam froh und trocken unter den Wolken
hinweg, die mir stat des Wassers nur Schatten herunterwarfen;
und
nach 2 Nächten in Giebichenstein fuhr Reichard mit mir
hieher.
Ihr Oeser schikt Ihnen Dank und Grüsse. Ihn drükt noch der Verlust
des Sohnes und der Frau.
Der Himmel umringe Sie mit seinen schönsten Sternen und in
Ihrer dichtenden Seele spiegle sich nur Frühling und
Freude!
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/III_114.html)