Von Jean Paul an Josephine von Sydow. Weimar, 2. März 1799.

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Brieftext

Weimar d. 2. März 1799.

Ihr liebes Blat, gute Josephine, kam mir unter so vielen unschein
baren Blättern, die mir täglich die Post zufährt, wie eine von der
Abendsonne durchglühte Wolke mitten unter dem Heere von grauen
vor, die mehr auf die Erde als an den Himmel gehören. Die Bildung
eines schönen Herzens, eines energischen Geistes, einer warmen wunden
Seele, die das Leben und seinen Frost erfahren, spricht in jeder Zeile
an mein Herz; und darum antwort’ ich so zuversichtlich — was ich nie
Anonymen thue — Ihnen, die Sie aber kaum es mehr sind. Nein,
liebe Josephine, wir brauchen keine Jahre, um uns zu kennen, sondern
nur Gedanken.

Ein Lorbeer hat grössern Werth, wenn man ihn aus einer weib
lichen
und einer ausländischen Hand zugleich empfängt. Gleichwohl
hoff’ ich und wünsch’ ich, daß der Lorbeer (umgekehrt nach der Mytho
logie) in eine Daphne sich verwandle; — ich meine, ich bitte Sie um
Ihren Namen und um alle versprochene Oeuvres, worunter Sie ihn
sezen.

Bei den drei ersten Strophen Ihres Lieds scheint das Deutsche die
schwache Uebersezung Ihres Französischen zu sein. Blos das sanfte
l’orne stört den schönen Eindruk. Aber in der vierten Strophe wünscht’
ich eine grössere Annäherung ans Original; „reste“ „habite“ — diese
synonyme Verdoppelung — schwächt. In der fünften wird die Antithese
vermist, zwischen dem schmerzlichen Bewegen des Herzens und zwischen
der Ruhe am stumsten Orte.

Ich bitte Sie, verhülte Freundin, um frühe und ofne Antwort.
— Meine Adresse war die rechte (Leipzig ausgenommen) — ich bin
nichts als ein Mensch, nur ein Autor — noch nicht einmal ein Ver
lobter; daher ich Pfingstkapitel schreibe, um es zu vergessen.

Leben Sie froh, gute Seele! Aber sagen Sie mir nicht mehr, daß
ich Sie niemals sehen werde. Die lebendige Gestalt volendet die irdische
Freundschaft; sonst könte man eben so gut die Freunde vor der Sünd
fluth lieben. —

Lebe froh, liebe Seele, und wenn der schwüle Tag des früheren
Alters einige Blumen für dich zugeschlossen: so öfne die Luna des
sanfteren jezigen dir recht viele Nachtviolen.

Jean Paul Fr. Richter

Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 3. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1959.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

K: Unbekante in Hinterpommern darüber nachtr. v. Sydon [!] 23 März. J 1: Wahrheit 6,82×. *J 2: Denkw. 2,146. B: IV. Abt., III.1, Nr. 155. A: IV. Abt., III.1, Nr. 176. 171,7 zufährt] so wahrscheinlich K, zuführt J 1 J 2 9 an] so K J 1, auf J 2 gehören] aus gehört K 11 Frost] Trost J 1 20 versprochene Oeuvres] so J 1,versprochenen Oeuvres J 2 25 ans] an das J 1 31 noch] fehlt J 1

Über Josephine von Sydow handelt ein Aufsatz von Albert Béguin (†)in der Zeitschrift f. Bücherfreunde, 38. Jg., 3. Folge, III (1934), Nr. 7,S. 142—146 („Jean Pauls französische Freundin“), ausführlicher derselbeVerfasser in französischer Sprache in der Revue de littérature comparée,15. Jg. (1935), S. 30—59 („Une amie française de Jean-Paul, Madame deMonbart, Joséphine de Sydow“). Ihren Briefwechsel mit Jean Paul hatErnst Förster 1863 im 2. Band der Denkwürdigkeiten unvollständig veröffentlicht (zwei von Jean Pauls Briefen hatte schon der 6. Band derWahrheit gebracht). Ihre z. T. sehr langen, französisch geschriebenenBriefe an Jean Paul fanden sich mit Ausnahme des ersten in seinem Nachlaß(Berlin JP). Von seinen Antworten, aus denen sie im Februar 1826 Bekannten vorlas (s. Malla Montgomery-Silfverstolpe, Das romantischeDeutschland, Leipzig 1912, S. 202) und die sie 1828 seiner Witwe zumKopieren zur Verfügung stellte, ist ein Teil neuerdings im Autographenhandel aufgetaucht. — Marie-Joseph Peyrennit de l’Escun (oder Lescun),geb. wahrscheinlich 1758 (nach ihrer Angabe in A, sie habe mit 25 JahrenSydow geheiratet, wäre sie erst 1761 geboren; aber ihr erstes Werk istbereits 1776 erschienen) in Languedoc, gest. 26. Jan. 1829 in Potsdam,kath., war in erster Ehe mit Louis Joseph de Monbart verheiratet, der sievermutlich aus einem Kloster entführt und nach Preußen gebracht hatte,wo er es zum Geh. Rat und Generalinspektor in Breslau brachte. Nach derum 1785 erfolgten Scheidung heiratete sie am 19. Sept. 1786 den Rittmeister im Husarenregiment von Belling in Belgard, Hans Joachim Friedrich von Sydow (1762—1823). Auch diese Ehe wurde später (1801?)geschieden. Sie hatte aus der ersten Ehe zwei Söhne, aus der zweiten eineTochter (s. Nr. 276†) und einen Sohn. Vgl. Genealogie der Familie vonSydow, von Hans von Sydow, S. 78f. In den Jahren 1776—86 hat sie inBerlin und Breslau fünf Werke in französischer Sprache veröffentlicht, indenen sie sich als Schülerin Rousseaus erweist. In ihrem ersten Brief anJean Paul, in dem sie dem Dichter ihre Huldigung darbringt, nennt sie nur ihren Vornamen; den Nachnamen will sie erst angeben, wenn er ihrunter der Adresse eines Freundes — wahrscheinlich des Pastors Wolf(s. zu Nr. 250) — geantwortet habe. Sie verrät, daß sie nicht mehr jung sei,sich früher literarisch betätigt und Schweres durchgemacht habe. SeineAdresse und Titel kenne sie nicht, „mais Jean Paul doit être connu à Leipzig.“ 171, 18 f. Vgl. I. Abt., X, 312,4f. 22–28 Josephine hatte einevon ihr verfaßte französische Übersetzung des Liedes von Salis (nicht vonJean Paul, wie sie irrig annahm), das Klotilde im Hesperus am Grabe ihrerFreundin singt (I. Abt., IV, 184f.), beigelegt. 32 Pfingstkapitel: imHesperus, 33.—36. Hundsposttag.

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/III_229.html)