Von Jean Paul an Josephine von Sydow. Weimar, 26. April 1799 bis 29. April 1799.

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Brieftext


Weimar d. 26 Apr. 99 .

Meine Freundin! So geben wir uns die Hand, über Chausseen
und Wälder hinüber und wir haben uns lange gekant und uns
nie gesehen! — Ihr lezter Brief, Ihr Vertrauen, Ihre Geschichte
bleiben fest und warm in meiner Seele.

Aber Gute! Ihr verwundetes Herz wurde eben dadurch ein
festeres und wärmeres; eine beglükte Liebe hätte seine Sehnsucht
gestilt und sich vertilgt, aber eine unterbrochene hat sie verewigt.
Das Schiksal geht mit uns wie mit Pflanzen um, es macht uns
durch kurze Fröste reifer. Ach der Mensch liebt nicht oft — und
wer wenigstens einmal geliebt, der war glüklich, wenn er auch
sich nur täuschte.

Ich las vor 13 Jahren so viele französische Bücher, daß ich
sehr leicht die Ihrigen kan gelesen haben, ohne es mehr zu wissen;
ich vergesse bei Büchern und Menschen — ihrer Menge wegen —
die Namen, aber nicht den Inhalt. —

Wir werden uns sehen, theuere Seele — das Schiksal berechne
die Zeit — allerdings thu’ ich freudig einen Schritt einmal ent
gegen, und zwar bis — Berlin.

d. 29 Apr.

Jeder neue Absaz der Zeit in meinem Briefe macht, daß ich
Ihren wiederlese, worin gleichsam ein Mondschein der zurük
gewichenen Zeit die Seele süs auflöset.

Ich schäme mich, Ihnen für die Länge Ihres Briefes zu danken
bei der Kürze der meinigen, die Ihre Liebe mit meinen Arbeiten
und Korrespondenzen entschuldige. Ach, Sie können mir kein
Wort zu viel schreiben!

Ich freue mich innig auf Ihre Werke; ich liebe dan in den
Kindern die Mutter.

Gute, zarte Josephine! Sie waren glüklicher als manche be
neidete. Nicht viele sind so glüklich, nur den Irthum der Liebe
zu haben und noch wenigere, die Wahrheit derselben zu
fühlen — und auf jedem Gewitter Ihres Lebens ruht noch dazu
der bezaubernde Regenbogen Ihrer Poesie.

Lesen Sie von mir noch „das Kampaner Thal“ — die „bio
graphischen Belustigungen“ — und „Jean Pauls Briefe“. —

Und so lebe wohl, schöne Seele, und vergieb meine Kürze!
— Mein Herz sehnt sich nach deinem und vergisset dich nicht.
Und das Schiksal streue auf deinen Lebensweg die Blumen die
in deinen Gedichten blühen, und die deine Liebe andern reicht! —

J. P. Fr. Richter

Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 3. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1959.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

H: zuletzt Kat. 641 Stargardt (März 1988), Nr. 271 (1. Blatt, mit leichten Abweichungen gegenüber K), darauf: Hausser; Kat. 48 Antiquariat V.A. Heck, Wien (1928), Nr. 202 (nur das letzte Blatt,von 184, 21 an). 2 S. 8°. K: de Sydon[!] 29 Ap. *J: Denkw. 2,161. B: IV. Abt., III.1, Nr. 176. A: IV. Abt., III.1, Nr. 194. 184, 9 gestilt] gestilt K, fehlt J 11 Fröste ] Fröste K, nicht gesperrt J 33 wenigere] wenigere K, weniger J 185, 4 andern] uns K

Angekommen 13. Mai. Josephine hatte in einem langen Briefe ihrenNamen und ihre Adresse angegeben und ihre Lebensgeschichte erzählt.Sie sei durch den Pastor Wolf in Prenzlau (vgl. IV. Abt. (Br. an J.P.), III.1, Nr. 89) zuerstmit dem Hesperus bekannt geworden. Sie hatte ihn gebeten, sich, wenn erihr schreibe, der französischen (lateinischen) Schrift zu bedienen, da siedie deutsche nur schwer lesen könne. (Die erhaltenen Originalbriefe JeanPauls an Josephine zeigen, daß er in der lateinischen Schrift für ä, ö, üzuweilen, aber nicht immer ae, oe, ue setzt; in unserer Ausgabe sind, woHandschriften nicht vorlagen, ä, ö, ü beibehalten.) 184, 14 –17 Josephinehatte die Titel ihrer Werke angegeben und versprochen, sie nächstens zuschicken: „peut-être le hasard les a-t-il mis dans vos mains, quoiquevraisemblablement vous soyez trop jeune pour les avoir lu dans leur temps.“ 18–20 Sie hatte sich zu einem Zusammentreffen bereit erklärt, wenn erseinerseits etwas dazu tue.

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/III_250.html)