Von Jean Paul an Josephine von Sydow. Weimar, 6. Juni 1799 bis 10. Juni 1799.

Zum TEI/XML DokumentZur originalen Webseite

Brieftext


Weimar d. 6 Jun. 99 .

Theuere Josephine! Eben erhielt ich Ihre Blätter und Ge
schenke; und meine Seele kan nun nichts anders thun als mit
der schönen Schwesterseele sprechen die zu ihr gesprochen. Ich
habe so viel zu sagen und brauche stat des Papiers — Berlin.
Der Winter ist auch für mich und für alle berlinische Gaben die

schönere Zeit; nichts bleibt dem Zufal anheimgestelt als der
Monat, aber nicht der Entschlus. Denn ich mus nun die ver
trauende Seele sehen, die verwandte, die liebende, die geliebte,
die leidende — Und die Seele, die ungesehen mich zu Thränen
bewegte, da sie schrieb, daß sie durch ihre kleine Charlotte mir

ihr Stilschweigen, wenn es der Tod auflege, entschuldigen wolle —
O du weiches zartes Herz, hätt’ ich es neben dir gelesen, ich wär’

an dich gesunken und hätte nur geweint, nicht gesprochen! —
Nein, so entschuldige dich nie! —

d. 10. Jun.

Stelte sich nicht die Poststrasse zwischen unsere Herzen, so
solten Sie, liebe Josephine, schon längst ein Blätgen und gerade
am schlimmen Tage erhalten haben, damit er dem guten ähnlicher
würde.

Ich wil jezt Ihren Brief beantworten.

Ich bin erst seit einem ½ Jahre in Weimar, wohin ich aus Leipzig
kam. Ich habe kein Amt, weil ich nie eines wolte sondern, obwohl
arm, doch lieber frei und am Schreib- und Studiertisch bleiben
wolte als am vollern Estische des Staates.

In Ihren Werken hab’ ich wegen der Eile erst geblättert, aber
auch ohne Sehrohr hab’ ich an diesem reinen Himmel schon

viele helle Sterne gefunden. Ein Auge, das scharf bemerkt, ein
Herz, das heilig schlägt, fanden meine auf jeder Seite der geliebten
Freundin; und Ihr reiner Styl thut meinem Geschmak, der mehr
an Ludwig XIV als an Ludwig XVIII gewöhnt ist, innig wohl.

Die Gründe — nicht die Illusionen — für die Unsterblich-
keit finden Sie in meinem Kampanerthal; blosse Poesie wäre
keine Philosophie, Farbe ist kein Licht.

Ihre Verbesserungen im Liede: „la tombe est triste“ sind vor
treflich; nur zieh’ ich die erste Strophe der ersten Ausgabe wegen
der majestätischen Reime morne, l’orne vor. Die 3 lezten

Zeilen im Gedicht „L’espoir“ gefielen mir am meisten, weil Sie
da nicht übersezten sondern erschufen.

In der Zeile Ihres Briefs, wo Sie, Unvergesliche, der Vergeslich
keit durch eine Gattin, wie fürchtend vorbauen, fand ich Ihr zu
heisses Herz, aber ein Herz das sich auf der Erde zur Asche macht

durch Gluth, nicht durch Tod.

Theuere Josephine, was könte ein so geistiges Verhältnis wie
unseres von irgend einem andern leiden? Lieb’ ich dich nicht wie
einen Geist aus der vergangnen Welt, oder aus der künftigen?
— Und keine Liebe ist unsterblich als die, die eben so rein ist wie

Unsterbliche.

Schreiben Sie Bogen vol, ich werde um Bücher Papier vol
bitten — schreiben Sie diese, ich bitte um Ries Papier. Aber

ich — zumal im Sommer, den ich immer verreise — kan weniger
oft als viel schreiben.

Der Algütige sei es auch gegen dich, und heile deinen Körper
und, wenn er kan, auch dein schönes Herz.

Lebe wohl, wohl, vertrauende Seele! Du irrest dich nicht an
mir. Deine aufknospende Tochter zeige dir deine Jugend, dein
Herz und dein Verdienst! — Fodere von der Erde nur Stille,
keine Melodie, und die Sphärenmusik mache dir dan dein eigenes
Herz. Und sage dir immer:

Leiden sind schöner die das zweite Leben endigt und die es
fodern und verdienen, als Freuden, die ihm widersprechen und
entsagen, und die es endigt.

Lebe wohl, Josephine.

Jean Paul

Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 3. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1959.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

H: DLA, Marbach. 4 S. 8° (nur bis 201, 29 heisses). K (nach Nr. 278): Sydon [!] 11 Jun.. (*) J: Denkw. 2,162. B: IV. Abt., III.1, Nr. 194. 201, 14 an] in K 20 wäre] ist K 21 ist] nachtr. H 25L’espoir“] nachtr. H 27 Ihres Briefs] nachtr. H 28 zu] nachtr. H

Josephine hatte drei von ihren Schriften geschickt. In B spricht sie denWunsch aus, daß Jean Paul im Winter nach Berlin komme, da sie nur dannsich freimachen könne. Sie sei krank gewesen und habe ihrer zwölfjährigenTochter das Versprechen abgenommen, ihm ihren Tod zu melden. Siefragt, warum er im vorigen Jahr in Leipzig gewesen und jetzt in Weimarsei, ob er Professor sei, wie er über die Idee der Vernichtung denke, dieihr von Jugend auf schrecklicher als Hölle und Teufel gewesen sei, und dieer im Siebenkäs nur mit dem Gefühl, nicht mit der Vernunft zu prüfenscheine, und ob er, wenn er einmal Bräutigam sei, seine Freundin vergessenwerde. 201, 24 Vgl. 171, 23 f.

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/III_275.html)