Von Jean Paul an Christian Otto. Gotha und Weimar, 26. oder 27. Juli 1799 bis 1. August 1799.
Brieftext
z. T. Kopie
Dahin bin ich wieder zurük aus Eisenach. Anlangend meine
Reise
Annalen, so müssen diese kurz wie
ein Chronikon sein, damit sie nicht
zu lang sind. Es ist
denk’ ich ein Mittelweg zwischen Kürze und Weit
läuftigkeit, wenn ich dir erzähle, daß ich in Erfurt war — dan in
Gotha — dan in Eisenach — dan in
der Ruhl — dan wieder hier.
Inzwischen bleiben mir doch noch viele mündliche Nachträge
un
benommen.
Dergleichen werden sein, daß ich Hennings gesehen, der
viel list
reicher und kräftiger und doch besser
aussieht als seine Thaten und
Schreiblettern. In Gotha wurd’ ich mit neuer Liebe in alte Arme auf
genommen, die die herzlichen Schlichtegrols, Jacobs (Rezensent und
Rezensentin) etc. haben, auch die Herzoglichen und
die Franken
berg[ischen]. — Heute war
ich bei der ungemein schönen Erb
prinzessin. —
Ach die Gegend von Eisenach, die Wartenburg
[!] etc. drükte mit
ihren Reizen mein Herz. Welche jugendliche feurige Himmel
liegen in
meiner Brust! Wie werd’ 〈kan〉 ich lieben!
Wie werd’ 〈kan〉 ich
glühen! Wie kan ich leiden! — — Das
alles fuhr mit seinen Händen
durch mich.
Erinnere mich an die Tochter des Direktor Tschirpe; denn
ich kenne
deine Abneigung vor langen schriftlichen Erzählungen. —
Ferner fand
und gewan ich eine geistreiche, von Wieland unter dem Namen Psyche
besungne Frau — v. Bechtolsheim
— und eine Holländerin v. Ban
huisen
und den berühmten Grafen v.
Narbonne, der alle Deutsche lieset, aber bei
meinen Belustigungen schon
nicht recht fortkan, ein schöner angenehmer Welt
man.
, ein Mädgen mit welschen Augen und Augenbraunen; mit
beiden fuhr ich Nachts um 12 Uhr durch die glühenden
Sternbilder
der Johanniswürmgen von der Ruhl zurük...
Freilich giengen wir vorher hin. Der Weg ist italienisch durch ab
geründete Felsen und
Blätterfülle.
Der Badort Ruhl hat gerade so viele häsliche Gestalten
als
mancher schöne — nämlich keine. Der Herzog gab in seinem
Saal der
reifen Jugend einen Bal — alles war froh und kek
und die wehenden
Röcke schlugen an den Landesvater hart —
ich war seelig durch die
Dorfgestalten, Häuser und Stuben:
„wie kan man, (sagt’ ich zum
Herzog der recht gut war) im
18ten Jahrhundert so froh sein wie ich
heute?“ und wunderte mich.
Beliebter Kürze wegen sag ich daß ich, eingeladen vom Herzog
von Meinungen, den andern Tag nach Liebenstein wolte, wo
es noch
schöner ist, aber wegblieb, um mit der schönen spröden
Belgierin heim
zufahren, mit der ich durch kein
anderes Band der Liebe zusammen
hieng
als im Dunkeln durch das Stokparasol, woran ich zog oder (bei
mehr Sonnenschein des Glüks) die Finger laufen lies an
ihre, die
litten und schwiegen.
Ich möchte wissen was du von solchen Briefen denkst; aber ich weis
es wohl, was du denken solst von einer mit sich und dem
Leben spielenden
Seele. Ach wenn ich dir einmal mein
ganzes [Herz aufmachen dürfte
mit
jeder Ader von der Aorta bis zur Hohlader: du würdest darin den
Wiederschein einer andern Zeit erblicken als die ist die
um dich wohnt.
Dazu gehört nichts als Zeit, aber die ist
eben zuweilen mehr als alle
ihre Geschöpfe und
Gefangnen — Das Evantaillen Duel! — das
Nest durchsizen. —
die grünsten Jahre — der Schimmer des Ruhms
ist kein Brod
und keine Gesundheit und wirkt blos stechend im Brenglas
des Tadels. Die Prügel oder Aeste vom Lorbeerbaum fühlt man deut
licher als die
Blätter.]
Lücke
mir bei einer solchen Wärme die jedes Menschen, selber des
besten war und ist. —
Wenn ich sagte, auf dich wirkten fremde Urtheile wie auf jeden:
so widerlegest du mich so als hätt’ ich gesagt, du sähest
nur durch
fremde Augen.
—
Ich habe noch keinen Menschen gekant, der dein „Urtheil wegen der
„Schonung für untergeordnet unter fremdes“ gehalten hätte;
und der
daran Mangel an keker Festigkeit getadelt hätte. —
Zu euerer Hypo
chondrie gehört noch,
daß ihr die Weichheit für eine Tugend haltet,
anstat für ein Glük; wenn der alte Herr den Hals hergiebt und nichts
macht, so thut er was er kan; Rührung ist nicht
kategorisch zu impe
rieren, kan er vorschüzen. Nichts
wird leichter maniriert und eine
poetische Spizbüberei als
die häufige Rührung.
Jacobi’s Brief an Fichte wird gedrukt. — Mög’ ich dir nicht die
fernere Kritik über den Titan
versalzen haben! — Manche Dinge in
dieser Jobelperiode sezt ich hin, um zu fragen, ob sie bleiben können?
— Ich
werde jezt kein Geld ausleihen. — Die Nachricht mit meinem
Bruder war meine schönste. Siegle und lies den Brief an Vogel; aber
das Geld, was du auslegst, kan nicht auf die bekante
Rechnung kommen.
— Jezt da Caroline im Sept. erst den Namen ändert, komm ich
vielleicht vorher. Meine Reisen zerstören mich; wie
das englische Bier
hier; trink ichs noch ein Jahr, so bin ich todt; das weis ich. Kan man
denn für alles
Geld kein Johannisser hieher erhalten? Jeder Preis ist
mir gleichgültig. Frage doch Emanuel. — Grüsse deine Schwester und
deinen Bruder. — Dem Schurken, der dich zum
V[erfasser] des
libellulum macht, möcht ich ins Angesicht seinen Namen
geben oder
etwas mehr; du siehst aber, welche geringe
Meinung die Höfer von —
mir haben; denn sonst könten sie die Gotteslästerung
nicht denken. —
Deine kritischen Blätter mus ich noch
haben zum Aendern. — Ich
habe keine Terzie mehr frei. Lebe wohl, vergieb mir und
liebe mich,
ich bin wie sonst oder besser gegen
dich; ach wir wissen es gar nicht, wie
weh es uns thäte,
wenn wir ernstlich oder ohne Hofnung uneins
würden.
Vergis! — Ich bitte dich, so scharf und fest zu kritisieren
wie das vorigemal.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/III_297.html)