Von Jean Paul an Charlotte von Kalb. Leipzig, 22. Dezember 1797.
Brieftext
[Auf Ihren lezten Brief ist es leichter schnel zu antworten als
auf
den vorlezten mit seiner etwas]
winterlichen Gesinnung. [Die Anzeige
Ihrer Augenkrankheit hat mir eben so wehe gethan, als mich die
Nachricht Ihrer Heiterkeit erfreuete — ich beantworte Ihren
Brief
Zeile für Zeile.
Die Berlepsch] sieht [bei
Ihnen] vor [dem]
Laube die Frucht nicht
[wie Sie bei ihr. Sie beide müsten einander lieben, so wie ich
Sie. Die
Berlepsch las meine Briefe, wie Sie ja auch thaten,
wahrscheinlich nur
stellenweise und nur guten Menschen
vor.] Den Vorhang vor Ihrem
Bilde,
[Theuere,] zog ich nur vor h. Augen weg;
[doch hab’ ich zuweilen,
wenn Sie
misverstanden wurden, mir das Schweigen nicht gebieten
können.] Die
[meisten] Menschen stecken zu tief in
ihrem sumpfigen
Ich, um den reinen Abris eines fremden zu
sehen.
[Den doppelten Scherz gegen die Berlepsch billige ich nicht, da
er
entweder meine Wahrhaftigkeit oder meine Verschwiegenheit
kompro
mittiert.
Ich heirathe entschieden und gerade ein Wesen — wenn ich es
finde — wie Sie mir es zeichnen. Seit dem Tode meiner Mutter]
sehnet sich meine
[ganze] Seele nach der Wiederkehr der
häuslichen
Freude, die ich nie dem weltbürgerlichen
Reiseleben abgewinne.
In meiner Phantasie ruht Weimar auf einer verklärten
Wolke.
[Wen hab’ ich in Weimar zu scheuen? da ich meine
Visittenlaufbahn
dort erneuere. Nirgends fand ich den
Geselschaftston so fein, so ernst
und so leicht wie
dort.]
Niemand könte Sie aus meiner Seele verdrängen als Sie.
[Sie bleiben meinem Herzen, was Sie waren.]
Solche Stunden wie
unsere sind mit einem ewigen Feuer
bezeichnet.
[In Leipzig lieset mich jeder, wie ich aus allem ersehe, ich
aber und
diese Stadt passen nicht
zusammen;] die bankerute Gegend und die
ebene Flachheit der Seelen treiben mich bald fort und Weimar liegt
[immer] vor mir als das Jerusalem, in das
ich einmal einziehen mus,
nicht um zu leiden sondern das Osterlam zu essen.
[Am meisten gefält
es mir bei Platner
und Weisse. Die Mädgen sind im Ganzen schön,
nicht geziert, man hat gegen sie ein sonderbares,
scherzendes Betragen,
an dem mir der Mangel an Ernst nicht und
die Achtung sehr gefält.]
— In meinen Gehirnkammern sind seit unserm Beisammensein
einige Lichter mehr angezündet, aber meine Herzenskammern sind noch
eben so geheizt. [Wie wolten Sie es
anstellen, daß ich nicht in ihnen
Sie finden
solte?] Möge das neue Jahr die Augenlast, die auf mein
Herz mit drükt, abheben.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/III_30.html)