Von Jean Paul an Friedrich Heinrich Jacobi. Weimar, 27. Januar 1800 bis 4. Februar 1800.
Brieftext
Guter Bruder! Den angenehmsten Brief für dieses Jahr hab’ ich
wahrscheinlich schon erhalten, den deinen. Für jedes Wort
bring’ ich
dir einen Dank — und zugleich die Antwort
erstlich auf den weissen,
dan auf den grünen.
1. Der Clavis wird besonders und vermehrt und erhellet
gedrukt,
aber nur einmal. Besorge keine Verschiebung des Gebäudes.
Ich
kont’ es mir nicht abgewinnen, dasselbe Kind
dem Publikum zugleich
als bekehrten Schächer und als
unbusfertigen zu schicken. — Mit
Frühlings-Freude gebähr’
ich den Clavis wieder, da ich darin philoso
phieren und spassen zugleich kan,
welche Dinge mich unter dem
Machen ins Feuer sezen, indes
ich in dramatischen Darstellungen vorher
im Feuer
sein mus zum Machen. — Der gute Reinhold ist weniger
schwankend als durchsichtig; 100 Philosophen durchgehen
eben solche
Vischnu’s Verwandlungen wie er, zeigen aber
der Welt nur die lezte.
— Aber, Heinrich! wer ist die Clairvoyante, die Titanide, die so
schreiben kan,
die Verfass[erin] der Stelle an deine
Schwester?
Welches herliche Weib! Die Herders vermuthen, es sei eine Stolberg,
von der sie mir manches malten, was es bestätigte. Deine
Leserin
und Zuhörerin mus sie auch sein. — Die
Fichtianer trugen schon
deinen ungedrukten Brief freudig, zumal über dein Lob,
herum.
H. v. Hardenberg — ein
Fichtianer, es ist der Novalis im Athenäum
— war entzükt über ihn. Dieser erzählte mir vor
einem Jahr in Leipzig,
wie es mit Fr. Schlegel, dessen Freund er ist, gegangen
sei. „Er habe
(verzeih mir einige unheilige Worte) alle deine Werke auf
einmal
studiert, verschlungen, gepriesen, gesagt, er
werde in seinem Leben
keine solche Zeile machen können;
darauf sich immer tiefer hinein
gearbeitet und endlich sei ihm Licht über den
Woldem[arschen] Egois
mus aufgegangen etc.“ Der Spizbube
ist dir gut, wie mir, ob er mich
gleich zu skalpieren
versucht.
Du hast mein ganzes Herz wie mit einem neuen Schmerz gerührt,
da du mich an deine Leiden erinnertest. Man schwebt im
Empyräum
der Liebe und der Phantasie oft Jahre lang
herum, ohne nur einmal
sich das geliebte ferne Wesen in
einem Schmerze vorzustellen; aber
dan erschrikt man und er
thut einem desto weher. Warum must du
leiden, mein guter
Heinrich?
Wirf doch die Philosophie deiner Gesundheit wegen eine Zeitlang
weg und athme nicht immer in diesem Giftfang. Hast du nicht
Dicht
kunst und alles andere vor
dir? —
Jezt zum grünen Brief. Studiert hab’ ich eigentlich Fichte nicht —
und keinen Philosophen ausser dich, der du mir anfangs
klar und doch
jährlich klärer vorkamst —; da ich den
Schlüssel d. i. die Prinzipien
hatte, kont’ ich blättern —;
mein Körper leidet seine mir süsse Lektüre
nicht lange —;
mit dem Schlüssel giebt sich alles und man könte in
seine
Seele hinein seine künftige Ästhetik deduzieren. — Deine Rügen,
wofür ich dir innig danke, sollen Früchte tragen und haben
schon
Blüten. — Gieb mir doch an, wo
Gerstenbergs Kategorien-Versuch
und dessen Brief über deinen stehen. — Habe Dank für die
ersparte
Sünde gegen den treflichen Bader; ich kante Bruchstücke seiner Systeme
nur aus Hardenbergs Schilderung
und — Lob. — Dein Wille über
Neeb geschieht. — Bouterweks vortrefliche Apodiktik in 2
Bänden,
worin ich erst geblättert, ist wieder ein
haltbarer Fels unter dem
philosophischen Schaum. — Schad’s Darstellung der
Leibge[be]rei,
die ich eben bekommen, ist sehr hel. — So hat mich der
Teufel jezt
in die Philosophie hineingeholet. —
Das Taschenbuch, (das Böttiger im Merkur sehr pries) wie mir
der Buchhändler hier sagte, „gieng stark“, was
viel im kargen dürftigen
Weimar ist, wo man nur Bücher macht und nicht kauft. Das
sei dir
genug. — Wenn du mich zwingst, geb’ ich freilich wieder
etwas dazu;
aber etwas anders als eine Satire begehre
nicht. — Fichte und Fried.
Schlegel sind seit langen in Jena. Was hältst du von Tiek? —
Heute schliess ich den Clavis, den ich erstlich
umgearbeitet zweitens
fast gerade verdoppelt habe. Ich
wolte, du erlaubtest mir, ihn dir
zu dedizieren und deine
Beistimmung zu offenbaren, wodurch ich frei
lich mehr mir als dir dediziere. Es mus dir aber nicht im
Geringsten
enge machen; entscheid’ es daher nicht gefällig, sondern
vertrauend.
Der voltairische göthische Mahomet wurde hier gegeben und
hat
Herder und mich u. a. durch alle Fehler der gallischen
Bühne auf
einmal — die nicht die Kulisse der
shakesp[earschen] oder
griechischen
zu sein verdient — erzürnt und gepeinigt. Mich erfaste
noch der Grol
gegen die grosse Welt, die ewig der
kalten und doch grausamen un
poetischen Zeremonial-Bühne der Gallier anhieng und anhängt, weil
sie selber auf einer frappant ähnlichen agiert.
Mit Herder leb’ ich, wiewohl immer in philosophischen
Kriegen,
im alten Seelenbunde und noch enger fort; fast einen Tag
über den
andern sehen wir uns. Blutig werd’ ich aus dieser
liebenden Familie
scheiden. Denn ich hasse Weimar und räum’ es, wenn ich meine Caro
line habe. Von dieser wil ich
dir in einem andern Briefe schreiben, und
über manches
andere in deinem.
Die Apodiktik bezaubert mich durch den Scharfsin und die herliche
Entwiklung; ich kan kaum los. — Wieland kan man lieben, wie man
ein schönes Kind liebt; man erwartet nicht, daß es
einen wieder liebe.
Das Gleichnis gehört deiner
Sülli.
Leb wohl, mein Theuerer! Mit Sehnsucht und Liebe grüss’ ich deine
Schwestern. Lebe wohl!
Sende deine Briefe auf dem alten Wege. Meiner geht erst über
morgen ab.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/III_391.html)