Von Jean Paul an Friedrich Heinrich Jacobi. Weimar, 22. Dezember 1799 bis 26. Dezember 1799.
Brieftext
Citissime
Theuerster! Meinen Dank für deinen Neeb, den ich ungebunden
— das Eigentliche meint sein Buch, das Metaphorische
mich — durch
geflattert, kan ich
dir nur durch die Satire oder Widerlegung sagen,
die ich hier gemacht. Ich las seitdem — obwohl auf
Kosten meines
nächsten Nicht Ichs — 1) in der
Wissenschaftslehre und 2) im Eigen
thümlichen derselben, da ich sie
vorher aus der Moral, aus dem Abris
und aus Schelling kante — Das
Produkt meiner Ergrimmung liegt
hier bei, sei Richter der Voraussezungen oder
Misverständnisse —
streiche blosse einzelne Wörter aus,
und send’ es dan offen nach Berlin
an den Verleger Matzdorf samt deinem Brief an mich, den er mir
remittieren wird. Hast du aber längere Einwürfe als gegen Wort
Individuen: so sende sie mir samt
dem Gegenstand. Eil’ indes!
Um aber die Fikzion, in der der Aufsaz ein Eksteingen ist, zu wissen,
mus ich dir sagen, daß der satirische 1te Filialband des Titans
in
einer Tagsschrift besteht, wovon an jedem
Januar 1 Blat von humo
ristischen
Köpfen in Pestiz — einem Con-Territorium des Titans —
geliefert wird.
Je weiter und tiefer ich wieder mit den philosophischen Land
streichern in ihre Minotaurus-Höhle
hineingerathe und es merke, wie
aus ihrem Ariadnens-Faden nur etwas zum
Strangulieren zu stricken
ist: desto mehr hass’ ich das lahme, öde, genielose
Volk. Du kanst es
nicht verantworten, Heinrich, wenn du
— da dein Triumphbogen mit
seinen Füssen in 2 Welten
steht — diese Stellung nicht mehr benuzest
und nicht
deine Lampen daran anzündest, zu deiner Ehre und zu
fremder Erleuchtung. — Dein ganzer Dekalogus heisset
blos:
schreibe! —
— an mich auch!In solcher Ferne mus man immer einen
Sekundawechsel senden: hast dumeinen Brief vom 4 Okt./ 11
Nov. bekommen? — Deine Antwort vom etc. hab’ich noch
nicht.
Das ist ein opus supererogationis. Die
Jesuiten
beriefen sich bei Palafox für irgend etwas auf ein
Privilegium, sagten
aber, sie hätten eines, jenes nicht zu zeigen — und
dan wieder ein
drittes, das zweite nicht zu
zeigen u. s. fort. Von dir bekam ich bisher
— fast bis
zur 4ten Potenz — Versprechungen von
Versprechungen
der Versprechungen, daß du mir wohl
antworten würdest.
— — Höre! Für die mathematischen Unendlichkeiten — die
in der
Optik, in der Lehre von Hohlspiegeln, am Ende
schon in der Quadrat
wurzel
der 2 gegeben sind etc. — giebts keine metaphysische Auflösung.
Nim einen unendlich grossen Spiegel und noch einen —
aber bei der
unendlichen Theilbarkeit reichen 2
endliche zu — jeder repetiert die
Gallerie des andern,
dieser sich und das Repetierwerk, jener das Repe
tierwerk des Rep., dieser das R. des R. des R. — kurz
eine Unendlich
keit von
Unendlichkeiten. Wären diese nicht wirklich, sondern
in der
Vernunft, welche Systeme
würde[n] die hohlen Anagrammatiker
der
Natur in diese werfen! Der Teufel hohle das
Volk, und ich wolte, ich
könte jenen spielen! — Lebe
wohl, Heinrich! Grüsse! — Schreibe! —
Herder (der jezt die Urtheilskraft
K[ants] kritisiert, wo er
mehr
Spielraum für seine Kräfte hat) möchte wissen,
was Gerstenberg von
meinen Sachen hält; für diesen, meint er, wären
sie.
P. S. zum P. S. Nur noch einen
Nachruf, Theuerer! Schicke den
Clavis, für den Herder sehr ist,
recht bald in die schon für ihn auf
gethane Presse. — Dein Brief an Fichte
gefält allen kräftigen Köpfen
in den beiden feindlichen Lagern. Aber deine Vergleichung
Nicolai’s
und Schlegels ist zu hart für dieses Kopf und jenes Herz. Fichte
antwortet dir öffentlich; und ich wolte schwören, er
bringt sein altes
Wünschhütlein wieder in seinem Kopf, nämlich die Frage — womit
er die
Realität des Nicht-Ichs zersezt —, wo denn anders jenes
Wahre
und das Streben darnach sei als wieder im Fragenden, weil
der sonst
keiner sein könte? (So, gegen deinen
Abscheu vor dem Philosophen,
der neben dem anbetenden
Wilden sich anbetet, wird er mit seinen un
und endlichen Ichs aufziehen etc.)
Was mich an seinem Entschlus zur Antwort freuet, ist daß er dich da
durch recht verwickelt ins
Schreibwesen, um was ich Gott herzlich bitte.
Weiter wil ich dir nichts sagen in diesem Jahre, mein unendlich
Geliebter. In der Stunde des lezten Tages desselben, wo
die Däm
merung wie eine Wolke zu mir
niederkomt und wo ich das Dunkel
durch kein Licht
entheilige, da wil ich an deine schöne Seele denken
und an
dein ganzes Leben und an deine guten Schwestern. —
P. S. des P. S. des P. S. So gieng es mir nie; und dir auch nicht.
Wie eine Hausfrau geh’ ich immer noch eine Treppenstufe
mit hinab
und rufe der Tochter immer noch etwas neues nach. Man
räth mir
nämlich, den Clavis
nicht an den Titan zu hängen sondern allein in
die Welt zu werfen. Jezt entscheide du, und du
allein. Räthst du es
auch, so arbeit’ ich ihn noch einmal
ganz um und mach’ ihn grösser,
heller, und satirischer. In
jedem Fal sendest du ihn nicht an den Ver
leger. Eile ohne Weile! — Die Idee der Umschmelzung glüht immer
mehr in mir an, daß ich den Schlüssel, wenn er nicht heute
fortgienge,
gewis morgen im Läuterungsofen
glühen sähe. Ich wil mich einmal
darin über die Dinge der
Zeit ganz auslassen, nicht halb.
O Guter, vergieb meine Sudelbriefe, die kaum deine höchste Freund
schaft entschuldigen kan. Du soltest
nur mein Arbeitshaus kennen.
Ich kan gar nicht los von dir und wil es auch nie — bleibe seelig,
schönes Herz!
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/III_368.html)