Von Jean Paul an Paul Emile Thieriot. Weimar, 22. Dezember 1799.

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Brieftext

Weimar d. 22. Dec. 99 .

Wenn meine Briefe ein h. Christ sind: so kommen sie ja eben mit
oder hinter diesem, wiewohl sie selten bringen und immer fodern.

In Ihrem Blätgen ist das Pforten-Dehortatorium köstlich. Halten
Sie sich immer neben der juristischen Folterkammer eine humoristische
Tanzstube offen. Die Laune komt wie der Verstand nicht vor den Jahren,
leichter Phantasie, Wiz und Scharfsin; — und darum bin ich so froh,
daß sie bei Ihnen früher kam; und geben Sie dieser seltenen Freundin
immer Miethe und Kost.

Müllers Briefe hatt’ ich gelesen; um die Rezension der meinigen
und die der Metakritik bitt’ ich Sie, weil jene so gut sein sol und diese
so schlecht. Hier machen wir mehr Bücher und Rezensionen als wir
haben.

Hab’ ich Ihnen schon geschrieben, daß ich über Fichte, den ich nun
studiert, eine widerlegende Satire „Clavis Fichtiana seu Leib
geberiana“
im Akzessitbändgen des Titans gebe? — Lesen Sie doch
des herlichen Neebs „Vernunft gegen Vernunft“ den mir Jacobi
empfohlen. — Kotzebue giebt jezt Trauerspiele in JambenGustav Wasa.
und besser
als er sonst schreibt und besser als Schiller in der Leichtigkeit; wiewohl
beiden die Shakespear[sche] Genialität fehlt.

Schreiben Sie mir erstlich 30 oder 40 Bogen und dan auch etwas
von Ihren leipz[iger] Freunden, Pr[ofessor] Herman, Ihrem Bruder
pppppp.

Lesen und studieren Sie auch Jacobi’s „Spinoza“.

Treten Sie froh in ein längeres Jahrhundert als das vorige für
Sie war. Ich liebe Sie innig, wenn ich auch schweige.

Richter

Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 3. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1959.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

H: Berlin Varnh. 213 (derzeit BJK). 3 S. 8°. K: Thieriot 22 Dec. J: Denkw. 1,416×. B: IV. Abt., III.2, Nr. 282. A: IV. Abt., III.2, Nr. 287 und 290. 263, 30 f. mit oder] nachtr. H

Angekommen 24. Dez. 263, 30 Thieriot hatte um häufigere Briefe JeanPauls gebeten, da jeder ihm ein heiliger Christ sei. 32 PfortenDehortatorium: ein humoristischer Anschlag, den Thieriot am 10. Nov.an die Tür des juristischen Hörsaals geklebt hatte. 264, 4 f. Thieriot hatteauf die im Deutschen Magazin 1798—99 erschienenen „Briefe eines jungenGelehrten [Johannes Müller] an seinen Freund [Bonstetten]“ und auf Rezensionen von „Jean Pauls Briefen“ und von Herders „Metakritik“in der Erlanger Literaturzeitung (Nr. 154 v. 7. Aug., Nr. 199f. v. 19. u.20. Okt. 1799) hingewiesen. 12 Kotzebue: vgl. 273, 1 f.

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/III_365.html)