Von Jean Paul an Friedrich Heinrich Jacobi. Hildburghausen und Weimar, 4. Oktober 1799 bis 11. November 1799.
Brieftext
Geliebter Heinrich! Wenn man an fremden Orten an Einheimische
der Seele — was ich so gern thue — schreibt: so wird man
da ein
heimisch. Jezt werd’ ich an
dich nicht blos von mir erinnert sondern
auch von Reinhold, dessen Sendschreiben etc. ich eben weggelegt, d.
h.
Fichte’s paraphrasierte Appellazion. Seine alte, nie
etwas entdeckende
vergleichende Anatomie fängt hier in der langen Antithese
zwischen
Gewissen und Wissen von neuem an, d. i.
zwischen Postulieren und
Demonstrieren, (so wie sein
Endliches ins Unendliche wieder nur ein
unnöthiges Wort
für das unaufhörlich Bedingte ist) Man lernt nichts
von
ihm — als unpartheiische Wärme und helle Darstellung — und er
vergleicht immer nur Partheien, von denen er eine alte
genommen,
anstat eine neue zu machen und zu sein
durch den Standpunkt der
Vergleichung. Aber ich lieb’ ihn
herzlich; und besonders seine 2te
Beilage.
Fichte les’ ich von vornen wieder, unendlich erquikt durch seinen
Scharfsin; wende aber ihn und Bayle wie die Leute ein grosses Messer
an, nicht um damit zu schneiden sondern um meines
daran zu schleifen.
Auf Montaignes Styl wirkte wie er sagt
alzeit die lezte Lektüre — ob
ich gleich nur die senekaische in ihm finde —; aber
Dichter und alle
wirken nicht so als die Philosophen, die — wenigstens bei
mir — den
Ideen-Wellen eine lang anhaltende Richtung
geben; ausser den Philo
sophien weis
ich kein so gutes Treibmittel des Gehirns als höchstens
Kaffee und Schach.
— Sieh, Heinrich, ich schwaze; wie eine Familie mit sich ohne An
spannungUnd
doch ists mein Gesez, nie etwas ohne Anstrengung zu machen, keinBillet; weil aus wilkührlicher Schlafheit unwilkührliche wird; weil man sich
einenschnellen Gang der Ideen eben so gut angewöhnen kan als
einen der Füsse; undweil man „verbauert“ unter Menschen, bei
denen man sich nicht geniert.
und tournure spricht und eben darum keine
Langeweile
und Visitten-Hungerquellen hat: so sol
und kan mans mit dem Gelieb
ten. Ach
die wachsende Langeweile der Zeit thut am meisten unsern
Mangel an Wärme dar; nicht an Worten und Gedanken fehlet es
dem ennuierten Jahrhundert, sondern an der Liebe, die jene
leicht
entbehren lehrt.
Thue mir den Gefallen, Guter, und paginiere mir zuweilen
die
Überbeine, Milchversezungen, Polypen und Spek- und
Pulsader
geschwülste, die du in
meinen Werken findest; lasse sogar die rationes
decidendi weg; ich wil sie wohl errathen wie
Chrysip. Wenn du bei
der Universalität deines Geistes und Geschmaks mit mir
uneinig bist:
so ists noch ein Lob für mich, wenn
an der Uneinigkeit nichts Ursache ist
als daß ich nicht
der — Leser bin. — Von dem häslichen Weimarschen
Perhorreszieren jedes rügenden
Urtheils ist in meiner Seele nichts;
halte also zuweilen
dein Rügegericht; ich werde dich loben und mir
nicht wie
in Frankreich die verlierende Parthei (v. Leiseri spec.
DXLIV) das Privilegium ausbitten, zu
schimpfen.
Seitdem hab’ ich alles erhalten, aber nicht viel; verzeih’ das
Vorige, was
beides nicht ist. Wo fang’ ich an? d. h. blos wo hör’
ich
auf?
Erstlich deine Brief——gen! Und doch schwur ich, als ich dein
leztes las, dich zu bitten, dir keine Pein zu machen aus
einer Lust,
sondern nur zu schreiben wenn du — wilst. In allen deinem Honigseim
stekt, merk’ ich, ein wenig Wachs oder die todte Bienennymphe, daß
du nämlich — mir nicht gleichst, der ich, weiter als Kant,
nicht einmal
das Leblose, nicht einmal eine Minute zu einem
blossen Mittel
mache, alles zu Zwek. „Wenn nur dieser Brief einmal
geschrieben
„ist — wenn nur dieser Monat und das und das
vorüber ist: dan solt ihr
„sehen ob ich glüklich bin“ — so
sag’ ich nie: sondern zum Glük rechn’
ich eben Brief und
Monat. So quäälest du dich ewig und suchst auf dem
Berg ein
Thal, und da wieder einen Berg. Ernsthaft: schreibe ohne
Quaal, aber dan so wie das
erstemal, d. h. nicht blos Fakta; sende
mir nur wenigstens von deinem künftigen Werk
einen Bogen;
ich schmachte nach deiner Philosophie. Du hast mir noch keinen
einzigen Brief
beantwortet.
Lieber Heinrich! während deiner Klage über deinen Verlust hat ihn
das Geschik verdoppelt und 2 Herzen unter die Erde
verstekt, auch
deinen Schlosser, dessen Antike von Herz
ich so gern an meines ge
presset hätte. Ach wenn man Jahre
genug hat und ein neues Herz
findet, so ist der Gedanke
einer der ersten, daß es bald erbleiche oder
unseres; und
dan weis ich keinen Trost. Die Betrachtung, wie viele
gezükte Schwerter über jedem geliebten Band der Seele
schweben, solte
uns Flüchtlingen des Seins eine ganz
höhere wehmüthigere Liebe geben
— und doch lieben wir uns
leider mehr wie Ewige als ewig. —
Einen Menschen nicht gesehen zu haben auf dieser von Todten
gebürgigen Erde, ist recht hart — und unwiederbringlich; die Ewigkeit
giebt die Leiche nicht zurük, nur etwas Verhültes. —
Das Gerücht von einer Eisenacher Braut ist nur eines;
über mich
liefen schon viele dergl. Sie lügen, sagte Heinrich — IV von den
Astrologen, so lange bis sie treffen; und so ists bei
mir. In Hildburg
hausen fand ich in diesem
Herbste meine, meine Seele; sie heisset
Caroline v. Feuchtersleben.
Schweige noch; ich thu’ es jezt gegen
dich auch; ich habe dir zu viel zu sagen.
Neeb verschrieb ich mir; eine Ehre, die ich nur
Kompendien,
Kanten, Fichten und dir (deinem Spinoza) anthat. — Dein
Brief an
Fichte ist für mich so kurz als wär’ er an mich (Vergieb,
Lieber, mein
strenges Sprechen über Reinhold; die
moralische Charade seines
Namens erkant’ ich immer) Du gleichst nicht der Erde, wie
sie dem
Mond erscheint, ewig unverrükt bleibend, sondern
du steigst wie dieser
und erleuchtest dich und jene. Ich
fand schöne Entwiklungen deiner
Lehre vom Allerheiligsten,
zeugende Evoluzionen in Bonnets Sin. Nur
2 Ding’ hab’ ich zu sagen. Gegen deinen Saz, daß
die Objekte uns
vernünftig ordnen, hab’ ich ausser dem was
in der Abhandlung über
die Träume steht und was du nicht widerlegt oder gesehen
hast, noch
dieses, daß du ja nicht das Bewustsein bekomst,
weil die Objekte es
wecken oder bringen, sondern umgekehrt bemerkst du diese durch jenes
mir unbegreifliche erwachende Bewustsein. Denn in einem Nu
bist du
wach — ohne Sinnen Eindrücke, die ja der Traum
selber blos zu
seinem Wahnsin verarbeitet — in der
Finsternis — den Wahnsinnigen,
diesen Tag-Träumer, ordnet
die Aussenwelt auch nicht — Im tiefen
Denken geht diese
auch unter, und doch nicht die Vernunft. Wenn du
antwortest, nicht blos schreibst, wil ich mehr Gründe
bringen.
Das andere betrift Fichtes geschlossene runde logische Welt. (Ich
lese eben seine Moral mit höchstem Bewundern und
Unglauben, und
des götlichen Fenelons Leben, dessen Theologie wunderbar
in die
Fichtische Moral eingreift. Die Guyon las ich vorlängst entzükt, die
Bourignon erkältet, schon durch ihr Gesicht.) — Ich wil
das kühne
Wort hier entschuldigen, warum ich einmal eine Metapher
für den
Anfang der F.
Philosophie ausgegeben — weil nämlich (du weist
alles, aber ich sag es doch) die Philosophie in
einer gewissen Höhe,
wo der Begrif, die Abstrakzion,
Reflexion etc. wieder der Gegenstand
des Begrifs etc. ist
und die Thätigkeitwiewohl das Bewustsein nie eine
Thätigkeit, nicht einmal die eigne ganz
erschöpfen kan,
so wenig als das Sehen das Sehen sieht. Das Ob-/Subjekt ist wie
die wolfische Einheit des Mannigfaltigen. Man kan
keinen einzigen Schlus aus
dieser Rechnungsmünze
widerlegen; und am Ende hat man doch nichts.
der der Thätigkeit, jede Sprache
eine Lügnerin und
Verfälscherin ist. Du hast dan nur die Wahl zwischen
1) Metapher 2) Irthum 3) Nichtsin 〈Oede〉. Die von dir gerügte
Verwandlung der Qualitäten in Quantitäten reicht durch die
ganze
Sprache und verdirbt alles. Fange gleich vorn bei
F. an, dessen logische
Algeber
ein Sorites aus Wörtern ist (Algeber ist zu gut; denn diese
bestimt ihre Beziehungen doch rein; und so solte die ganze Sprache nur
wie die mathematische der breitere Umris beliebiger
Quantitäten
sein): ist denn z. B. der Akt des
Bewustseins durch das blos gesagte,
nöthige, preshafte (mit nichts erwiesene)
Zusammenfallenund was heisset wieder das, d. h.
welche Anschauung hab ich davon? des Ob
und Subjekts erklärt? Woher hat er Subjekt, was ist das
für ein Ding,
wie unterscheidet er das Objekt in ihm 〈Ob-
+ Subjekt〉 von ihm
〈Sub- — Objekt〉? Ist Objekt
nicht ein weites leeres Quantitäts-
wort? „Trennung des Sub- vom
Objekt“Seze doch dafür: Maler und Gemälde und
schliesse einmal fort und sieh den
konsequenten Un- oder Leersin. Welches sinliche
Wort,
nicht besser als Abspaltung, Losreissung, Kluft,
Graben! Er wende die
leztern doch auf sein x — x + x = x 〈\nicefrac{x}{x} = x〉 an! Tödtlich hass’
ich diese 5. Akte eines konsequenten Wörterschauspiels.
Zugeben mus
man alle seine Schlüsse, wenn man ihm die
Sprache zugiebt. O belehre
mich! — Das innige dunkle,
nicht einmal dem Begrif und dem An
schauen unterworfne Sein in Spiel-〈Wörter-〉marken die aus jenen
geformt sind, wieder zu zerschneiden (d. h. zu erklären) in
Spiel
marken! — Für die Sinnen sei
die Sprache! Bei ihnen schliesset man
aus dieser mit
weniger Gefahr, d. h. blos aus dem Blat, (dem kleinern
Baum) auf den grössern. Aber weiter hinaus sind Wörter
nicht einmal
Schattenbilder, nicht 5. Punkte davon (denn
diese geben doch etwas
von der Sache, und sind kein Zeichen des Zeichens)
sondern Schnupf
tuchsknoten der
Erinnerung, die nichts malen — und nicht einmal
das, denn
alles sinliche ist malend, weil alles ähnlich und verbunden ist
— kurz es komt dabei eine 3fache hin- und herspielende
hexende a) Sub
b) Inkuben- und c) Menschen-Ehe
zwischen a) leeren, b) vollen
Zeichen
und c) zwischen dem
Gegenstande heraus. — Und so entsteht die
desertio malitiosa, nämlich man verlässet böslich die
Schlüsse aus
der Anschauung gegen die Schlüsse aus den
unreinen und doch öden
Zeichen der Anschauung. —
Sage ein Wort, Heinrich! —
Seit dem 13 Jahr trieb ich Philosophie — warf sie im 25 weit weg
von mir aus Skepsis und holte sie wieder zur Satire — und
später
näherte mich ihr, aber blöde, das Herz. —
Siehe meiner durch passive und aktive Bücher verarmten Zeit das
Durchstrichne nach; ich widerruf’ es nicht, aber vor dein
Auge gehöret
etwas besseres. Ich seze mirs vor, aber
vergeblich, langsam an dich
zu schreiben; — daher ich, um
mir eine Wollust daraus zu machen, mir
nicht wie du einen
bestimten Posttag als ein Fatale anstreiche, sondern
ich schreibe wie man spricht, ohne Scheu des Ziels,
d. h. ich athme
geistig, was doch das Sprechen ist.
Deine beiden Satiren im Taschenbuch sind schön und sogar — keine,
sondern deductiones ad
abs[urdum]; gegen manches
hätt’ ich aber
manches. Der melodische Sphärenklang und
das Sphärische in den
Gedichten deines treflichen Bruders —
den meine Seele grüsset — hat
diese erquikt; und ohne das kritische Eulengeschlecht, das
Oellampen
aussäuft stat zu füllen, hätt’ er (denn er
verdients) einen stärker be
leuchteten
Ehrenbogen. Auch Baggesen — den grüsse recht — ent
zükte mich, ausgenommen sein
Vossisches Vivat. Gegen die Sprach
reichen, Voß und Klopstok,Ihr goldnes Zeitalter klingt wie goldne Saiten etwas rauh.
wäre manches zu sagen, was manche
denken.
— Ich mag gar nicht aufhören, an dich zu schreiben. Ach ich liebe
dich so, und habe dich doch nicht! Vergieb, schreibe, ruhe,
und bleibe
mir gut! Grüsse deine geliebten
Schwestern! —
Bei der Definitiv-Lesung meines Briefs find’ ich ihn sehr öde und
leer (ein sich selber sezender Pleonasmus); aber da du das
Nichts ohne
Papier schreibst, so darf ich dir ja ein
Nichts mit Papier schicken.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/III_343.html)