Von Jean Paul an Friedrich Heinrich Jacobi. Gotha und Weimar, 1. April 1800 bis 7. April 1800.
Brieftext
Lieber Heinrich! Wenn ich eine Reise um die Welt machte, so würd’
ich dir wenigstens aus jeder Insel und jedem Hafen
schreiben, ob ich
dir gleich nichts Geographisches davon
gebe. — Dein lezter Brief war
für mich ein Buch, nämlich
ein herliches. Ich wil aus dem Kopfe
darauf antworten.
Gebe Gott, daß dich die Ichs-Kaste so lange angreift bis du böse
wirst und sie noch mehr polemisch, nicht blos
thetisch erschütterst. Sie
solte es (vergieb das
Un-Gleichnis) wie die Indianer machen, die
nach den Affen auf zu hohen Kokosbäumen so lange mit
Steinen
werfen, bis sie sich wehren mit — Kokosnüssen.
— Forbergs Dedukzion
der
Kateg[orien] hatte ich gerade im
Hause. Nach seinen vorgehenden
Briefen und nach der
schroffen Manier, womit er wie Leibgeber das
System vorhebt, halt’ ichs für — Persiflage wie du. —
Aber Himmel,
wie konte Gerstenberg dich die initia critica in Gleichnissen lehren
wollen? — Ich möchte wissen, da er alles, was wir bisher
für Kent
nisse oder Materie hielten,
zum Formalen der Vorstellung zertreibt,
was denn
noch für ein Materiales, vom X oder Nichts
Verschiedenes,
übrig bliebe. Das Spiegelgleichnis hat
keine Folie. Denn die Ver
zerrung
liegt nicht im Spiegel, sondern im 3ten Wesen, das gar
nicht
hereingehört. Fält der Strahl im spizen Winkel
auf, so mus er so
abprallen; ferner könte der konische
Spiegel, da auf ihn so gut wie auf
den planen,
einige Strahlen im rechten Winkel fallen müssen,
durch die Berechnung der verschiedenen Einfalswinkel die
wahre
Gestalt entdecken. Endlich ist das verzogne
Gesicht Millionenmal
mehr 〈reicher〉 als das kritische X. Nach der Kritik reflektiert ja unser
Spiegel die Objekte ohne Hülfe
ihrer Strahlen. — Nichts hat er von
deinem Alwil
und deinem Hume p. 121 hierüber widerlegt.
Wie sehr das Ich vom blossen Bewustsein persönlicher Verhältnisse
in Platners Sin zu trennen sei: mach’ ich mir oft dadurch
deutlich, daß
ich — gesezt ich würde durch die Seelenwanderung ein
Negersklave,
aber ohne von meinen jezigen Verhältnissen mehr im
Gedächtnis [zu]
haben als von denen vor der Geburt — gleichwohl
davor schaudere;
ob wohl es scheinen solte, als sei es so
viel als leide ein fremdes Ich.
Fichte ist in dem Grade subjektiv, daß er gar keine Existenz, die
immer objektiv ist, zulassen, sondern die eigne immer als
ein subjektives
Handeln geben solte; kurz er solte die
Schöpfung läugnen.
Ich weis jezt, wo unser gemeinschaftlicher Fokus im Punkte des
Träumens ist. Die Dinge ordnen die Vernunft mit Gewalt,
sagst du;
durch einen Ruk 〈Zuk〉 werden wir beim Erwachen
auf einmal ver
nünftig, sagt’ ich; aber
es ist dein Saz: denn komt nicht dieser Ruk von
äussern
Dingen, nämlich den Nerven? Nur von Empfindungen
ausserhalb des Körpers wolt’ ichs nicht abgeleitet
wissen.
Fichte und Schlegel wollen selber jezt eine Litteraturzeitung
edieren betittelt: „Anti-Litteraturzeitung“.
Der Fichtianismus wird glaub’ ich sein handelndes Leben nicht hoch
bringen; aber was hilft der Tod des
Teufels, wenn seine Grosmutter
fortlebt, die kritische
Philosophie?
Je älter man wird, desto demüthiger glaubt man an die Almacht
der Objektivität. Gott ist das wahreste und einzige
Subjekt. Ach wie
viel ist nicht an 〈in〉 uns selber,
Bewustsein und Wollen ausgenommen,
Objekt! —
Ich ziehe im Sommer aus Weimar, suche aber noch auf der
Karte
den Ort, wohin ich mein Ehebette stelle. Weimar hab’ ich nicht so
wohl
ausgekernt als ausgehülset. Wie wil ich dir meine Caroline
malen ausser durch Fakta, die am Ende zur Biographie
würden. Sie hat
einen ernstern strengern Geist als meiner
ist der oft das Steckenpferd
des sternischen — ist; desto
besser wird sich Strenge und Nachgiebigkeit
ausgleichen — Bei der zartesten Weichheit der
Empfindung die
kühnste Festigkeit des Entschlusses und
allen Stolz der weiblichen Ehre.
Gegen die Verwandten, die
uns zertheilen wolten, kämpfte sie, indem
sie sich zum Doppelopfer der Liebe für jene und mich
machte, schonend,
fest und siegend an. Ihr sind alle
künftigen Schiksale mit mir gleich
gültig; sie treibt jezt eben so eifrig die
Haushaltungskunde als sonst
Botanik und Astronomie. Sie
war die Lieblingin und Schülerin eines
vortreflichen
Vaters; und doch liebt und schont sie — was ich bei
solchen Mädgen selten fand — ihre zarte Mutter unendlich.
Herder
dem sie ihre von ihr selber poussierte kleine Wachsbüste
gesandt und
zu dem ich eine Cousine und einige
Briefe von ihr gebracht, sehnet sich
nach ihr wie nach einer Geliebten. — Du hast doch noch
kein Bild von
ihr; daher geb ich dir wie Herd. einige Blätter von ihr, die vor
unserm jezigen Verhältnis geschrieben wordenDeinem treuen Herzen darf ich ja mit meinem noch ein anderes
anvertrauen.
. Wie wil ich mit
luftigen Worten ihre überströmende
Liebe, die Kraft, Wünsche unter
zuordnen und Leiden mit Lächeln zu bedecken, die äussere Heiterkeit
dieses von Jahrelangen Schmerzen erzognen Herzens und die
Gleich
gültigkeit gegen Tand
und ihre Frömmigkeit malen!
Solche französische Abstrakzionen geben nie das vinculum
sub
stantiale eines Karakters, die
Individualität, die drei Reden oder
1 Handlung darstellen.
Das dramatische Geheimnis der Karakteristik
beruht auf
jenem vinculum.
Ich werde mich neben C. heiligen; ich finde — wie in
allem womit
ich zögerte — die
Vorsicht in dem gewundnen hart neben Abgründen
vorbeistreichenden Gange zu ihr.
Unsere Meinung über Forberg empfängt von einem
Briefe
desselben an Schaefer
hier ein neues Gewicht, weil er ihn darin ver
sichert, er gehe weit „von Fichte’s
offenbarem Atheismus“ ab.
Die Frau Schlichtegrols, meine Freundin, sah dich als sie
noch
eine geborne Rousseau war, in
Pempelfort und denkt deiner mit
Entzückung. Beim Himmel! du kontest die Weiber wie eine
Zentral
sonne die Welten,
hinter dir nach ziehen und durch den Himmel
führen.
Diese Korrektur Bogen des Clavis kanst du als Makulatur
be
handeln. Vielleicht komt Reinholdt zu dir; ich möchte mit seiner Ge
nehmigung sein Urtheil wissen.
— Möge dieser giftige Winter dir
keinen Nachwinter der
Krankheit nachlassen! — Grüsse deine lieben
Schwestern,
die mir allemal so gut mit gemalet werden, wenn ich mir
dich von einem Augenzeugen malen lasse. — Lebe wohl,
guter Hein
rich!
Kanst du mir nicht einmal irgend einen Brief von Baggesen
schicken ohne Verrath an der Freundschaft? Seine Laune
ist für mich
Salz, Würze, Zimt und Honig.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/III_434.html)