Von Jean Paul an Johann Wilhelm Ludwig Gleim. Leipzig, 21. Mai 1800.
Brieftext
Der Titan und sein Zwerg kommen endlich zum edlen Vater,
der
Kriegslieder sang und Friedenspredigten hielt. Schreiben Sie
mir,
Geliebtester, nicht ihren Empfang, sondern ihre Wirkung, wenn
Sie
sie gelesen. Das körperliche Auge sieht in der
Jugend am besten nahe,
das ältere ferne Gegenstände; Sie
aber sehen nicht blos die fernern
Gegenden des Parnasses, die
die Jugend jezt so verkent, unpartheiisch
und gut, sondern auch die nächsten und neuesten. Und darum
mach’ ich
dieses helle und wohlwollende Auge gern zu meinem
Richter.
Meine Zukunft geht so zwischen Berge in Thäler hinein, daß ich
nichts voraussagen kan — über meinem Lebensbächlein liegt immer so
viel Nebel, daß ich nicht auf 5 Schritte prophezeien kan,
wohin es
fliesse — — Ins stille Meer
freilich am Ende.
Mit kindlicher Liebe drück’ ich Sie an meine Brust und wünsch’
Ihnen alle die Freuden — wenn’s möglich wäre — die Sie je
aus
getheilet haben, guter Vater!
N. S. Erst in Leipzig bekam ich den Clavis und hatte
keine Zeit ihn
binden zu lassen. d. 23. geh’ ich nach Berlin und wohne bei Matzdorf
einige Wochen.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/III_468.html)