Von Jean Paul an Johann Wilhelm Ludwig Gleim. Berlin, 14. Juni 1800 bis 18. Juni 1800.
Brieftext
Noch immer, Verehrtester, leb’ ich in diesem architektonischen Uni
versum, das mich so einnimt,
daß ich es vielleicht im Winter beziehen
werde. Diesem
glänzenden Juwel fehlet nur die Fassung, eine schöne
Gegend. Das edle Brandenburger Thor mit seinen fünf Säulen und
seinem Triumphwagen öfnet gros die Kolossen-Reihen der
Palläste.
Nur die Einwohner, sogar die Einwohnerinnen sind einfach
gekleidet.
In keiner deutschen Stadt ist die
Achtung für das Gesez, worin allein
Freiheit besteht, sogar beim König grösser als hier. Noch
in keiner
wurd’ ich mit so vielem und algemeinen
[!] Enthusiasmus aufgenom
men als hier.
Ich sprach und as in Sanssouci mit der gekrönten
Aphrodite, deren
Sprache und Umgang eben so reizend ist als ihre
edle Musengestalt.
Sie stieg mit mir überal auf der heiligen Stätte herum,
wo der grosse
Geist des Erbauers sich und Europa beherscht
hatte. Geheiligt und
gerührt stand ich in diesem Tempel des aufgeflognen
Adlers. Die Köni
gin selber verehrt
Friedrich so sehr, daß sie sagte, durch ihre Gegen
wart würde diese Stelle entweiht, was wohl niemand
zugiebt, der
Augen hat für — ihre. Sie nahm meine
Dedikazion und den Brief
dabei, mit vieler Freude auf. — An
der Tafel herschte Unbefangenheit
und Scherz. —
Aber jezt zu Ihren theuern Briefen! Womit, Theuerster, hab’ ich
diese mehr als väterliche Liebe und Sorge von Ihnen
verdient? Und
was kan ich Ihnen dafür geben, als was ich
Ihnen schon als Ihr
Leser früher gab, Achtung und Liebe?
—
Allerdings heirath’ ich jenes Fräulein nicht, das die Herders viel
zu partheiisch malen; nicht ihr Stand, sondern
moralische Unähnlich
keiten scheiden
uns. Aber die Ehe ist meinem Glük und meinem Ge
wissen unentbehrlich. Ausser der Ehe verstrikt man sich
durch die
Phantasie in so viele Verbindungen mit Weibern,
die immer eine oder
gar zwei Seelen auf einmal beklemmen
und unglüklich machen. Mein
Herz wil die häusliche
Stille meiner Eltern, die nur die Ehe giebt. Es
wil keine Heroine — denn ich bin kein Heros —, sondern
nur ein
liebendes sorgendes Mädgen; denn ich kenne jezt
die Dornen an jenen
Pracht- und Fackeldisteln, die man
genialische Weiber nent. Ein
Wesen wie Ihre Niece war, ist
mein Wunsch. — Ohne Ehe, treib’ ich
mich auf Kosten meiner Gesundheit in Städten und
Zirkeln herum,
wo ich zuviel spreche und trinke. —
Übrigens verdien’ ich immer mehr als ich ausgebe; und ich wäre
noch reicher, wäre mir nicht einmal in Leipzig beinahe meine ganze
gesammelte Kasse gestohlen worden. Aber gleichwohl würd’
ich, wäre
mein Gleim hier,
durch ihn den König um etwas Fixes, z. B. um ein
kleines Kanonikat bitten lassen, damit ich nicht meinen
Körper durch
das ewige Silber-Ausbrennen meines Geistes
vor der Zeit einäschere.
Wahrscheinlich werd’ ich auch bei
diesen Anspannungen früher in das
kleine Sanssouci unter der Erde gelangen als mein Körper
nöthig
macht; aber ich lege gern die Hände unter dem
Sargdeckel zusammen,
die den Menschen doch einige Blumen
der Freude gegeben haben.
Die Stelle mit „meinem Lebensbächlein“ bezog sich auf die ab
gebrochnen Heirathsanstalten.
Ich mus mein immer gestörtes Schwazen endigen wie in dieser
Woche mein Hiersein. — Eine Ihrer Freundinnen, Md.
Klenke,
machte mir mit sich und ihrer poetischen Tochter viele
Freude.
Leben Sie wohl, Geliebter, Theuerer, Unvergleichlicher, Deutscher!
Mögen im Abendrothe Ihres schönen Lebens recht viele
Sterne
schimmern, guter Vater!
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/III_477.html)