Von Jean Paul an Christian Otto. Leipzig, 27. April 1798.
Brieftext
Unvergeslicher! Dienstags nach 8 Uhr langten wir im hiesigen
Frühling und Getümmel an. Schon in Gera fuhren wir zwischen
blühenden Bäumen, aber auch zwischen Betteljungen, wovon
einer,
nachdem der andere dotieret war, auf einmal zu
singen anfieng und so
mit der Arie im Mund neben dem Wagen
forttrabte. Nur in Auma
fanden wir um 1 Uhr Nachts keine Pferde, sondern einen
ihnen ähn
lichen Postmeister. (Israel ist
die beste Donner- und Fluchmaschine,
die man gegen das Postwesen mitnehmen kan.) Er donnerte am
Ende
doch einem Koadjutor von Wirth, auf Erlaubnis des Post
Maire, ein
Paar Pferde und einen viehdummen Fahrknecht ab,
der uns auf ebe
nem Wege umschmis und
niemanden etwas zerbrach als Enzeln den —
Wagen: ich hätte Arme
und Beine da er auf meine Seite fiel, ein
büssen können. Dennoch jagten wir in Gera um 11 Uhr Mittags fort
und wurden immer schneller und musikalischer gefahren. 7
Speziestl.
kostete es mich. — Israels Wagen war ein
Weinkeller und eine Speise
kammer. Er
betrug sich ungemein gut und aufmerksam gegen mich und
gieng
mit mir um wie mit einem weichen Ei, aus dem noch ein ganzer
Strausvogel auszubrüten ist. Ich kenne recht gut den Antheil seiner
Eitelkeit, die ihm ein ewiges Ja diktiert; aber ihr ist doch
auch das
Bedürfnis einer nur von der Geldbegierde
unterjochten Wisbegierde
zugemischt. Indessen hat Emanuel
Recht, der nichts mit ihm zu reden
weis, so wenig als ich. — Mein neues Logis ist für mich ein
Olymp
nicht vol Götter (nur 2 sind da) sondern vol Nektar. — Tiedge
und ein
Hauptman v. Zanthier, der einen Kreditbrief von Klamer
Schmidt
mitbrachte, hatten mich in meiner Abwesenheit sehen
wollen. — Die
Messe fängt erbärmlich an aus Mangel an Juden,
nämlich — pohl
nischen. — Der gallische Gesandte in
Dresden bittet den Schneider,
der für ihn näht, zu Tisch und ermahnt die Leute zur
Gleichheit — des
Opferns: 8 Millionen (nur Livr. hoff’ ich) bitten sich in Dresden die
mit Federmessern bewafneten Galli aus, wovon du mir
erzählet. —
Drei Szer und Ein Korrektor sind dem Breitkopf
abgestanden und
viele Drucker erkrankt: daher kommen meine Palingenesien der
Himmel
weis wenn ans Licht. — In mein ganzes
Herz ist der äussere Frühling
gezogen und trägt darin schon
Früchte. Gestern fuhr ich mit 4 Frauen
zimmern aufs Landgut von D. Hommel,
einen [!] hellen Kopf und
warmen Menschen, der mich ganz — kauft — und ich verliebte
mich
daselbst in eine schon öfters gesehene Madame Hähnel —
blos weil
ich mit ihr in einem Wäldgen spazieren gieng — so weit als
thulich
und nöthig war in so kurzer Zeit und führte sie
nach Hause, ob sie
gleich blos eine Treppe (in
demselben Hause) höher wohnt als die
Platner. — Entschuldige
bei der geliebten weiblichen Viereinigkeit
nicht mein jeziges sondern mein künftiges Schweigen: ich mus
jezt
nach arbeiten und vor arbeiten (wegen
Dresden). —
Keine Freude, die ich in Hof hatte, reicht an die, womit ich
nun
dein Bild in meiner Seele anschaue und festhabe. Mir
treten die
Thränen in die Augen, wenn ich dich nur denke. Ich
glaube nicht, daß
ich jemals noch einen Menschen in der Welt
so lieben werde — im
höhern Sinne nicht einmal meine Geliebte —
als dich. Ach ich wuste
es vor der Reise voraus — und doch
nicht ganz. O bleibe nur gesund,
nur gesund, du
Unentbehrlicher! — Grüsse alle und danke deiner
Friederike für
mich. — Ach wenn ich nach jenem Abschiede nur 1 Stunde
hätte einsam gehen dürfen! —
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/III_89.html)