Von Jean Paul an Gottfried Andreas Schäfer. Hof, 3. Mai 1795.
Brieftext
Kaum bin ich aus Ihrer mit Gärten umzognen Villa heraus,
so
klopf’ ich schon wieder an mit einem Brief, um wenigstens
auf irgend
eine Art darin zu sein. So lang ich hier bin, waren
am Tage nichts als
Wolken und zu Nachts nur Blize am
Himmel, gerade als wenn er seine
Schönheiten nur vor Ihrem
Standorte aufdekte. — kan ich nur einen
schweigenden Dank
bringen — ein lauter wäre nicht gros genug — und
ein thätiger
wird leider niemals in meiner Gewalt stehen. Ich wüste
nicht,
welch[es] süsser wäre, Ihre Gefälligkeit
zu empfangen oder zu
erwiedern — Obgleich die Sirius-
oder Aequatorwärme darin ge
frornen Polarseelen unleidlich sein mus:
so ist doch Ihr Herz an ein
wärmeres Klima gewöhnt. Es ist
Vorurtheil, daß die Jahre die Emp
findung
verknöchern und petrifizieren und daß man nur unter einem
Milchbart ein Butterherz aufweise. Allerdings ist der Jüngling weich,
aber am meisten gegen sich und gegen sein Mädgen, deren schöner
Kopf
ihn wie ein Medusen Kopf gegen die alte und neue Welt
verstein[ert].
Ach die Jahre machen oft wunder, stat härter, sie mischen eine
längere
Vergangenheit in jeden bittern Tropfen der
Gegenwart, sie fachen alle
Gefühle mehr an, nur schliessen sie
alle mehr ein. Im 20 Jahr wurd’
es mir leichter eine
bittere Satyre zu machen als jezt im 30. Ich glaube
sogar, der
Flug der Phantasie — nämlich der höhere stillere, nicht das
Rebhuhns-Aufprasseln der Almanachsvolerie — ist im Mittel
Alter
höher und dauerhafter als früher. Die 4 Seite erinnert
mich an die
5 Bitte um Vergebung .. — Nicht 1000 Empfehlungen —
d. h.
1000 Nichtse — sondern 1000 warme Grüsse an Ihre
Gemahlin, die
von der Kultur und von der einfachen Natur nichts hat als die
Tugend
und der es leicht werden muste, sich zu verdoppeln in
Ihrer schönen
Niece.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/II_105.html)