Von Jean Paul an Christian Otto. Bayreuth, 20. Juni 1795.
Brieftext
Lieber Otto
Wenn man an den andern aus einem Haus ins andre hinüber
schreibt: so mus man schon wenn nicht gute, doch einige
Gedanken
haben und bringen. Schreibt man aber über eine
Chaussee hinüber wie
ich: so brauchts das gar nicht — man nimt
seine Historie und erzählt sie.
Kurz Bayreuth ist mein Maienthal jezt, nur mangelts mir
in
diesem englischen Garten an einer gescheuten himlischen
Pygmalions —
Statue.
Las mich, Otto, springen wie ich wil — ich springe jezt auf den
Buchhändler Lübek. 200 fl. zieh ich für den römischen
Verkauf meines
Fötus; und da ichs noch öfter als ein römischer Vater
verkaufen
darf, so bekomm ich bei der 2ten Auflage 160, dritten 180 und so fort
bis zur 180ten Auflage selber. Die 20
fl. die er den 180 beigelegt,
subtrahiert er der 2ten Auflage. Er hat ein abgeplattetes, unten zu
sammengedrehtes, lächelndes, verschmiztes,
schwaches Pasten-Gesicht.
Schäfer giebt mir Gold stat
des Silbers, damit ich meinen Ehren
sold leichter transportiere.
Ich mus dich jezt ins Parterre der Pariser Oper stellen, damit du
die grosse Wolke, die an durchsichtigen luftfärbigen Stricken
ins
Theater hereinhängt, ansehen kanst. Denn es stekt eine
Göttin im
Gewölk, die es den Augenblik spalten und daraus
auf die Bühne
niederhüpfen wird.
Da ist sie — es ist die Fürstin Lunovsky... Nein, nein, ich
wil
mässiger erzählen und ich und du wollen die Göttin vom Theater
weg
in ein Ankleidezimmer führen und ihr da (jezt seh ich
erst, was ich für
Papier verschwende) nur soviel Kleider
lassen als sie zu einer Frau
braucht. Sie ist täglich bei
Schäfer. Da ihr mein Hesperus recht ist
(sie lieset blos Engländer, weil sie einmal einen heirathen
wolte; und
es ist schade daß sie die deutsche Lektüre nicht aus demselben
Grunde
sucht): so wolte sie, als eine Gönnerin der Gelehrsamkeit, den
Ge
lehrten vor sich hinhaben, der
den Hesperus in den Himmel gesezt. Es
that dem Gelehrten
Schaden, daß die Gasse der Präsentierteller war,
auf dem er ihr
hingehalten wurde. Ich und Schäfer begegneten ihr.
Was thats?
Ich sezte mich den andern Morgen hin und verbrachte ihn
himlisch mit ihr, indem ich nichts geringers zeugte als ein poetisches —
zehn Seiten langes punctum saliens,
das ihr nachmittags zum
ewigen Gebrauch Schäfer überreichte. Die Bescheidenheit
verbeut mir,
dir die Art zu sagen, wie die hohe Person das punctum aufnahm.
Nachmittags erschien
der salirende Punkt-Macher selber und war bis
abends mit diesem
hohen Haupte und mit seinem kahlen unter Einer
Stubendecke. Gestern gieng sie und Schäfer und die 2 Kinder und die
Niece (sie trägt noch ihre schönen Augen, aber ich mus sie
auch etwan
zu sehr vorgelobet haben) 2 Stunden spazieren und Paul wandelte mit.
Das sind dürre historische Aarons Reiser, aus denen jezt einiges
Laub getrieben werden mus. Sie hat eine volkommen schöne
Taille,
grosse Augen, proporzionierte Züge und solche
feste Theile: man
schwebt bei ihr zwischen den logischen
Urtheilen, sie war und sie ist
schön, mitten innen und es käme blos auf sie an, daß man
eines
ergriffe und festhielte. Sie drükt sich genau,
bestimt, leicht und kurz und
fein aus; aber das Fein-Fein-Fein (wie der beste Zucker
heisset),
worauf ich immer passe, ist eher bei Leuten
beiderlei Geschlechts in
unsern Ständen zu finden. Da ichs noch
ausserdem bei Schäfer, bei
der Spangenbergin und in Mémoires gefunden: so kans mir nicht
verübelt werden, wenn ich aus so vielen Erfahrungen endlich
das
Axiom extrahiere: Leute von Welt reden gleich sehr
bestimt und
ungesucht. — Die oft erörterte Sie kan sogar Latein
und Zeichnen
und andere Sprachen dazu (sogar die deutsche ohne
Dialekt) und
Klavier und — Stricken, war wie Archenholz in Italien und
England
und hat mehr Zurükhaltung und weniger Stolz als manche
Bürger
liche. — Der Nuzen, mit einer
Fürstin umzugehen ist der, man fässet
doch den Muth, mit ihren
Kammerjungfern umzugehen. Ein Elend
ists, daß ich nicht das Herz
habe, ihr einige der besten ausgearbeiteten
astronomischen Anspielungen ins Gesicht zu sagen: z. B. vom Durch
gang der Venus
durch die Sonne; vom Hesperus, der die Venus
ist u. s. w.
Der D. Elrodt, bei dem ich eine Bouteille Wein getrunken und
der
sogar meinen Fixlein gelesen, dessen Korrektur er übernimt —
denn
der Buchhändler hatte mit andern Leuten die Bedingungen
des
Druks früher als mit mir die des Verlages ausgemacht —
jener
also besizt 3 Bände vom tridentinischen Konzilium, die
das beste
Werk hierüber sein sollen. 10 Bücher liegen hier vor dem
feinen
Briefpapier.
Mir ist immerfort als wenn das Schiksal von diesem Labewein,
wovon ich eine Bouteille um die andre aufsiegle, zulezt einigen
nehmen und einen scharfen Weinessig für mich ansezen werde —
mögest du so froh wie ich jezt leben und möge das Schiksal mir
nicht in
dem deinigen jenen Essig reichen! — Nur zuweilen
abends drükt mich
der Inkube und Alp der melancholischen
Sehnsucht nach Hof und
nach allem und nach nichts.
Vor Mitwochs Vormittag retournier’ ich nicht. Ich werde Wiz
lebens zudringlicher Begleitung mit den
feinsten Maasregeln be
gegnen und
ausweichen: der Herweg mit ihm war zwar vol Unter
haltung und Lust — nur daß es einen beim Genusse eines
erhabenen
Berges fast mehr stöhrt als erhebt, den Andern
bemerken zu hören,
wie gut von einem solchen Berge die ganze
Wiese nicht sowol mit
At[a]lantens Füssen zu bestreichen sei
als mit Kartätschen —; aber
den unaussprechlich schönen Abend und Morgen der Herreise
must’
ich ohne volständige Berauschung durch den
dichten Schleier einer
Offiziers Montur ansehen.
Theile Aequator-warme Grüsse (oder den Reim darauf) unter
deine
Schwester, Amöne, und Karoline aus und stell’ ihnen vor, wie
einem erst wäre, wenn dieses h. Drei oder nur zwei, oder eine
hier
mitliefe; — ein welker Wunsch des Trinitariers,
Dualisten und
Unitariers.
Ach ich habe Lips grossen Kupferstich von Göthe gesehen und ich
hätte mit den lebendigen Lippen auf die himlischen —
gestochenen fallen
mögen. — Schillers Portrait oder vielmehr
seine Nase daran schlug wie
ein Bliz in mich ein: es stellet einen Cherubim mit dem
Keime
des Abfals vor und er scheint sich über alles zu
erheben, über die
Menschen, über das Unglük und über die
— Moral. Ich konte das
erhabene Angesicht, dem es einerlei zu
sein schien, welches Blut fliesse,
fremdes oder eignes, gar
nicht sat bekommen.
Dennoch ist mir dieses erhabene und erhebende, verachtende und
hochgeachtete Gesicht so lieb — wenn nicht lieber — als das wie ein
lang gerupfter verwelkter Zaunkönig eingefahrne Gesicht des D. Kölle
jun., den noch dazu jezt das kalte Fieber schwenkt und der
bei Elrod,
seinem künftigen Schwager, war. Er kömt nach Hof.
Leb recht wol und nim diese eilende Briefstellerei nicht übel.
Albrechts Brief hab ich besorgt; besorg’ auch meinen Grus an ihn.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/II_128.html)