Von Jean Paul an Johann Christian Conrad Moritz. Hof, 12. August 1795.
Brieftext
Liebenswürdiger — Fremdling
nenn’ ich Sie nicht, da mir Ihr schöner Brief und Ihr Geschlechts
name die Physiognomie der äussern Gestalt
durch die der innern er
sezen. Wir kennen
uns; und ich danke Ihnen für jeden Schrit, den Sie
mir entgegenthaten, um mir Ihre warme Hand zu geben und um
mich
daran in der Westmünsterabtei Ihres unvergeslichen
Bruders herum
zuführen. Wir wollen diese zerbrechlichen
Ruinen seines entflohenen
Daseins bewahren — ach auch diese
fallen zusammen. Wie schnel folgen
die Zerstöhrungen im
Menschen hinter einander! — Zuerst zerfället seine
Hülle — dan
unser Zypressenkranz — dan das Grabmal, woran er hieng
— und
endlich die Hand, die es bauete, und das Herz, in dem er lebte!
Nie hat der Zufal Spiele der Phantasie bitterer realisieret als die
im Hesperus durch den Tod Ihres geliebten Verwandten.
Denn über
ein Jahr vorher war schon der Plan und also Emanuels Sterben ent
worfen, das ich beinahe meistens schrieb,
damit Er es lese. Noch mehr,
den
Vernichtungstraum im 38 Kapitel, den ich später einfügte, macht ich
gerade an seinem Todesmorgen. So wust’ ich von seiner
Sternwarte
nichts. Ich weis mehrere solche traurige
Einmischungen des Zufals:
z. B. als ich im 3ten Thl p. 43 die 16 Zeile schrieb,
so unterbrach mich
die Nachricht vom Tode einer schönen
Freundin, die nach einem Fal in
Vitriolöl 6 Wochen lang alle Martern des Scheiterhaufens
gelitten
hatte. Oder am Morgen, wo ich die erste Hälfte des
38 Kap. schrieb,
starb mir eine andere Freundin. —
Lassen wir das: man braucht nicht
nasse, sondern helle Augen, um sich durch die Holzwege des
Lebens zu
finden.
Das Geschenk Ihrer Nachrichten von Ihm nehm’ ich mit
dankbarer
Seele an: ich wil weder seine Grösse noch Art selber
bestimmen;
schreiben Sie mir von Ihm was Sie wollen,
jede Kleinigkeit, besonders
Sonderbarkeiten im Aeusserlichen,
alles ist mir werth.
Ich wiederhole meinen Dank und werde den Wunsch Ihres Glüks
und die Versicherung noch oft wiederholen, daß ich bin
J. P. F. Richter.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/II_152.html)