Von Jean Paul an Emanuel. Hof, 6. Oktober 1795.
Brieftext
Mein lieber, guter, bester,
und recht von Herzen Geliebter!
Ihr Schweigen ist eine lange Strafpredigt auf meines. — Wenn ich
jemand — besonders ein Mädgen — mehr lieben wolte als sonst:
so
sucht’ ich mich an beiden zu versündigen: meine Reue
machte dan die
Liebe unendlich zärter und heisser. Fast solt
ich nach dem Gefühle, wo
mit ich bisher
an Sie dachte und oben die Anrede schrieb, annehmen, ich
hätte
Sie beleidigt — so lieb ich Sie, — durch mein Schweigen; aber
H. Ellrodt (und einmal ich noch mehr) wird mir in Ihnen
einen billigern
Richter verschaffen als Sie — selber haben.
Ich werfe Ihnen dieses Blat nur zu, wie ein Paar Worte aus dem
Fenster: ich hoffe nunmehr sollen Sie mit dem langen Tische,
worauf
ich dieses schreibe, bald näher kommunizieren als
durch Papier. Ich
schreibe jezt verwirt; denn ich size schon in
der Pomade, im Puder
und in der Eierschale fürs heutige Konzert
am Tische wie bei Ihrem
Volke der Bibelkopist (wenigstens beim götlichen Namen) den
Prunk
rok umhaben mus.
Das Gesicht unserer Renate ist Ihr Silhouettenbret: an ihrem
schattet sich Ihres ab. Ich liebe sie oft sehr, und
vernachlässige sie oft
noch mehr: es ist leichter, gegen einen
Freund als eine Freundin be
ständig zu
sein. Ich habe mir neulich, da gerade das Schiksal ein armes
Dorf auf den Scheiterhaufen des Feuers warf und da mich bei
grossen
Unglüksfällen nicht das Individuum, das sich immer durch
Schmerz
entehrt, sondern die ganze um uns blutende
Menschheit innigst bewegt
und — doch erhebt, da hab ich mir
eine ....
d. 8 Okt.
eine Verblendung von den Augen genommen, in der ich bisher so
handelte als ob man die Menschen blos ihrer Tugenden etc. wegen
lieben müste, da doch diese nur die Bedingung der
Freundschaft, nicht
der Menschenliebe sein können.... Ich habe
nur den Perioden gar
hinausschreiben wollen: ich wil Ihnen in
einigen Wochen lieber einen
Aufsaz darüber, eh er in
die Druckerei gefahren wird, zum Prüfen
schicken. — Sie haben mir noch kein Wort über den
Sterbetag
Emanuels und über den ganzen Hesperus gesagt.
Da das Schiksal mir die Thüre Ihres Paradieses vor der Nase zu
geworfen hat und mich auf einen Monat nicht eintreten lässet: so wil
ich im künftigen Frühlinge ein ganzes Vierteljahr draussen
verleben
und verträumen in der blühenden Glorie der
neugebornen Erde. Sie
haben also einen ganzen Winter lang die
Plage und die Zeit, mein
Regimentsquartiermeister zu sein. So
geniesset man immer in der
Gegenwart nur die Hofnungen und die
Plane der Zukunft: bei mir
gehts schon von Michaelis an
und dauert bis zur 2ten Tag und Nacht
gleiche, daß ich auf dem Zimmerplaze der Luftschlösser für
den Früh
ling arbeite. Ich gleiche der
Zeitlose oder Herbstblume, deren jezige
Blüten erst im
künftigen Frühling zu Früchten werden.
Den Betrag für den sehr schönen Zeug zum wollenen Ueberrok meines
körperlichen Ueberroks um den innern Menschen, werd’ ich Ihnen
mit
Dank in Ihre Hände geben, die ich doch nunmehr in Hof zu
fassen
hoffen darf. — Renate würde wenn sie eine astronomische
Terzienuhr
hätte, nicht die Minuten sondern die Terzien zwischen dem
Versprechen
Ihrer Ankunft und dessen Halten zählen: Sie
werden lange bleiben
müssen, eh sie aufhöret, vor Freude vor
Ihnen zu verstummen.
Sagen Sie meinem theuern Schäfer alle Grüsse der wärmsten
Liebe: jezt mus ich ihm ohnehin mein neuestes Buch, d.
h. ein Be
gleitungsschreiben dazu zuschicken. Leben
Sie wol, wenn es auf dieser
Schut- und Makulatur Erde, in
diesem Heidenvorhof eines unbekanten
Allerheiligsten anders
möglich ist.
Mit ganzer Seele
ewiger Freund
Richter
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/II_173.html)