Von Jean Paul an Amöne Herold. Bayreuth, 24. Januar 1796 bis 25. Januar 1796.

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Brieftext


Bayreuth 24 Jenn. 1796 [Sonntag].

Freundin,

Ich fange vielleicht, ohne wieder einzutunken, den Brief an Sie
mit dem Tropfen Dinte an, womit ich den heitern an Otto beschlos.
Ihrer überraschte und erquikte mich so wie die blühenden Nelken,
vor denen ich in Bernek einathmend vorübergieng. Im Winter,
Amöne, schmiegen sich diese duftenden Kinder der Frühlings Wärme,
erstlich wie Epheu an die Brust und dan gar ans Herz. So oft ich diese
Stelle des Ihrigen sehe — zumal im Hintergrund von 12 Stunden —
so steigt in mir über die nahe Vergangenheit glänzend die Ferne herauf
und ich vergesse, um mich zu erinnern. Wenn wir nur ein Jahr aus
einander geworfen wären: so würden alle kleine Flecken verlöschen, wir
würden in Briefen nur den bessern Theil unsers Wirs im Fluge sehen
und — ich würde mich unendlich nach Ihnen sehnen.


Gleichwol thut mir das schleichende Nervenfieber in Ihrer Seele
weh, weil es dagegen nur Einen Arzt und gerade den giebt, den der
Mensch nie braucht — Sie selber. Ihr „Absterben und Abstumpfen
der Gefühle“ ist gerade — das Gegentheil. Die Wage ruht, wenn leere
Schaalen, aber auch, wenn gleiche Lasten an ihr hängen: Sie haben
nämlich nicht absterbende sondern gesättigte Gefühle. Es fehlet ihnen
nicht die Wärme, sondern der Stof. Es ist der höchste Grad von Lebens
kraft, wenn — anstat daß sonst das Bedürfnis die Wünsche macht —
umgekehrt die Wünsche das Bedürfnis machen. Sie sehnen sich nach der
Sehnsucht. Leider (oder gotlob) wird Ihre Seele wie meine, von Jahr
zu Jahr nur wunder und weicher. Stellen Sie sich jezt zum Beweis nur
einen äusserst fröhlichen oder trüben Zufal vor, der sich plözlich auf
Ihrem Lebenswege aufrichtete, und sehen Sie, wie Ihr Inneres
schlagen, zucken, bluten oder wallen wird. Sie haben es gewohnt,
immer von der nächsten Zukunft zu erwarten oder zu befürchten: da
aber jezt jede nächste hinter ihrem sehr transparenten Schleier Ihnen
Ruhe und Friede zeigt, so verliert Ihre nur in Unruhe sich fühlende
Seele über die Ruhe die Ruhe. Eines Theils brauchen Sie einen eignen
Kreis vol mehrerer Pflichten; andern Theils brauchen Sie stat der
Erde den — Himmel. Ihnen wie allen idealischen Menschen wird auf
der begränzten Erde die begränzte Brust vol unbegränzter Wünsche zu
enge. Daran ist nicht Hof, sondern die Erde schuld. Horchen Sie
auf Ihre leisesten Antworten: sie werden Ihnen die jezige Un
zufriedenheit in jeder Lage versichern, die Sie sich — träumen. Denken
Sie mehr auf fremdes Glük, so wird Ihr eignes näher rücken.
Sie bedürfen zu Ihrem Glük ein unendlich entferntes Ziel: es
giebt nur 2 solche, die Tugend und die — Wissenschaften. Diese un
erschöpflichen erschöpfen und erfüllen den Menschen: daher rieth ich
Ihnen schon vor einem Jahre diese als das beste Mittel gegen
geistige Ueberfüllung an.

(N. S. Sie können mir einwenden, Ihre Sorge komme noch von
einer zweiten Sorge her; aber diese zweite unbestimte würde ohne die
Ueberfüllung keinen Eindruk machen.)


Sie folgen noch überal zu sehr Ihren stürmenden Gefühlen und
können daher die Ewigkeit keines Ihrer Zustände verbürgen. Sehen
Sie den Abstand, den zwischen diesen eine einzige Musik macht. So
sind Sie gewis nach dem wärmsten Briefe, eben weil Sie sich aus
geströmet haben, der Kälte am nächsten; und nach dem Zorne der
Güte. — Um sich zu heilen, mus man sich recht hart und durch
greifend fragen: was man denn eigentlich wil. Oft verstecken sich
20 Gefühle wie Kinder hinter einander und das lezte wil nicht
reden.

Montags.

Es ist Zeit, daß ich meine rinnende Feder wegthue. — Der Theil
Ihres Briefs, der nicht aus Klagen, sondern Wünschen, Güte und
Freude besteht, hat mich inniglich erquikt und gerührt. Sie wissen, was
Sie mir wieder für einen Vorsaz gegeben und wie Ihre schöne Ver
änderlichkeit zu meiner wird. Ihre Briefe gefallen dem Emanuel
ausserordentlich; ich widerlegte ihn und versicherte ihm, ich hätte noch
bessere von Ihnen gelesen. — Otto schläft mit mir Donnerstags in
Münchberg.

Ein fataler abbrevierter Dentist hat meine Zähne angefallen und
meine Blumenkette zerrissen. —


Es ärgert mich, daß ich in den Zauberlandschaften um mich heute
zum erstenmale — es solte zum 10ten mal sein — die Zauberflöte
Ihrer Briefe höre und sie akkompagniere. Ich werde künftighin
zuerst in Bayreuth ausser der Fantaisie nichts aufsuchen als die
Post, ob nichts da ist von Ihnen an mich. — Leben Sie wol: der
Himmel gebe Ihnen ein Paar Flügel mehr, damit Sie immer über
den Blumen, anstat sich darauf zu sezen, nur saugend schweben.
Und wenn die Biene müde oder beladen ist, so fliege sie auf das
Flugbret ihres

Freundes
Richter.

Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 2. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1958.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

H: Kunst- u. Altertümersammlung der Veste Coburg. 8 S. 8°. K (nachtr. im März 1796 nach Nr. 213): Amöne24. Jenn. 96. J 1: Morgenblatt, 28. Juli 1829, Nr. 179× (nur bis 149, 5 ,ohne Datum angehängt an Nr. 213). J 2: Otto 4,233. 147, 32 über] nachtr. H 148,4 Die bis 5 hängen] mit Blei gestr. K 5 an] aus in H, in K 21 zu] nachtr. H 149,3 Oft bis 5 reden.] mit Blei gestr. K 12 ihn] aus ihm H 19 Ihrer Briefe] aus Ihres Briefes H 22f. am Rande doppeltangestr. H geben H immer] nachtr. H 24 oder] und K 25 ihres] aus Ihres H

148,32 Die zweite Sorge ist wohl die um Christian Otto und ihre Vereinigung mit ihm. 149, 13f. In Münchberg wollten sie bei Seifert übernachten, vgl. Nr. 204†.

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/II_224.html)