Von Jean Paul an Amöne Herold. Hof, 19. März 1796 bis 20. März 1796.
Brieftext
Der Ton Ihres Briefes ehret Sie wie der Anlas desselben. — Ich
wil Ihre Frage: „wie eine Seele als die Ihrige sich so etwas
erlauben
„kan“ so beantworten wie sie gethan wurde. Ich
kan mirs nicht nur
erlauben, ich mus es. Menschenliebe
ist Pflicht; aber Freundschaft ist
keine, sondern Genus und
Verdienst — blos die Treue in ihr ist
Pflicht. Weil Sie
meine Betragen gegen Gleichgültige — Feinde —
Schlimme —
Arme — und noch mehr meine Glükswünsche für andere
und meine
Freude an der fremden nie erfahren können: so hab’ ich
auch keinen Beweis für Sie, daß ich die Menschenliebe nicht
blos in
der Feder, sondern auch im Herzen habe. — Aber bei
der Freundschaft
ists anders. Zwei Freunde solten vor
einander ihre Sommer- und
Sonnenflecken eben so künstlich
und aufmerksam verdecken als es
Liebende thun. Aber man
erlaubt sich darin zuviel — und wenn es
Scherz
beträfe, wie ich leider thue — und ein einziger falscher Ton,
eine kurze Dissonanz hat dan die schöne Melodie auf lange
gestört,
meistens auf ewig. Liebe und Freundschaft
fodern einen ganz vol
komnen Gegenstand; und da dieser nur über den Wolken und Sternen
wohnt, so mus ihn der Enthusiasmus durch eine Täuschung,
aus der
uns jeder fremde Fehler wirft, dazu machen.
Ich darf es sagen, die
Freundschaft zwischen Otto und mir
hat jene Zartheit, die keine
Fehler duldet und zeigt: denn meine sieht er aus einem
gütigern
Gesichtspunkt als ich oder irgend jemand, und
seine sind kleiner als
ihm meine
scheinen — Aber wie viel Wolken und Wolkenschatten
flogen zwischen Ihre und meine Freundschaft!
Ich habe das vorige gesagt, nicht blos um mich zu entschuldigen
sondern auch, um mich zu ändern und zu bessern.
Ich habe noch eine zweite Antwort auf Ihre obige Frage. Ich
glaube nämlich oft nach einer Menge kleiner Aeusserungen,
daß Sie
gar keine Freundschaft mehr für den haben, der für
Sie, so oft er nicht
gestöret wird, die wärmste und volste
und eben darum empfindlichste
hat — daß Ihnen einerlei ist ob man kömt, spricht oder
nicht — daß Sie
und Ihre ältern Geschwister vor den jüngern
ihre Urtheile ohne
Rüksicht fällen — Und wenn mir noch in einer
solchen Verstimmung
scheinbare Beweise wie Schlossen ans
Herz schlagen, daß Sie gegen
andere Menschen überhaupt zu
kalt und untheilnehmend wären: dan
giebts nichts für mich
als den Entschlus, mich ganz zurükzuziehen und
meine
innigste Liebe nicht aufzudringen, sondern die kurze Zeit, die
mich noch in diese Gegend begräbt, gar auszudauern bis mich
eine
fremde vol grösserer Freunde aufnimt. —
Ohne Ihren sanften Brief wäre vielleicht die Kluft des ganzen
Frühlings zwischen uns geblieben. Aber wenn ich einen solchen, wie
eine Hand, die über die Kluft hilft, von Ihnen bekomme, dan
seh ich
mit Erstaunen, daß Sie doch noch meine Freundin sind
— Und alle
meine Entschlüsse fallen und wir sind wieder
beisammen. Ich habe
Ihr Angesicht und Ihre Seele in
heiligen Stunden gesehen: wenn also
mein Ich nicht zu sehr
von Ihrer Hand getrübet und beweget wird,
so können Sie
wissen, daß meines das schönste helleste Bild des Ihrigen
spiegle und trage. — Die Freunde (und die Liebenden noch mehr)
solten immer in ihrem Betragen etwas von der schonenden
Zurük
haltung behalten, die
den ersten Stunden ihrer Bekantschaft jenen
feinen
bittersüssen Reiz ertheilte. Leider fehlet dagegen niemand so
sehr als ich selber. — Geben Sie mir also, neue und alte
Freundin,
wieder am Grabe meines kleinen Jahres Ihre
Hand und lassen Sie
mir sie auf dem Wege über das neue.
Wenn Sie sie wieder aus meiner
ziehen: so werd’ ich
— das ist mein festester Vorsaz — vielleicht
nicht daran
Schuld gewesen sein.
Richter
N. S. In Rüksicht der Helene kränkte mich blos die
Schnelligkeit
— da ich meinen Lehr Plan darnach gerichtet
hätte — und die un
dankbare Kälte
Ihres H. Vaters in seinem Briefe.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/II_268.html)