Von Jean Paul an Amöne Otto. Hof, 2. Oktober 94.
Brieftext
Beste Freundin,
Diese Anrede kan im Grunde meine ganze Antwort sein. — Ich wil
aber lieber mein Vergnügen verdoppeln und Ihnen das Nämliche
heute noch mündlich und schriftlich sagen.
Der gestrige Argwohn, der Sie betraf, war kaum halblebendig bis
Sie ihm durch die blosse Voraussezung desselben erst das Leben gaben,
das ihm heute Ihr guter Brief wieder nahm. Ich habe mirs
schon
seit einigen Monaten angewöhnt, kleine Launen,
die ich morgen
vergesse, heute zu ertragen. Der arme Jean Paul hat überhaupt
bisher sein
Herz zu sehr verschwendet und zu sehr Hof für die ganze
Welt gehalten: die Kälte, die er seit 3 Monaten gegen seine
alten
satten Wünsche hat und in der noch immer mehr Wärme
ist als die
Freundschaft braucht, thut ihm jezt recht wol.
Warlich ich wuste oft
nicht recht, was ich mit meinen tollen
Foderungen (das Papier taugt
nichts) haben wolte, die ich oft an
10 auf einmal that. Ich fühlte es
erst wieder in Bayreuth, daß ich, — indem ich Wünsche aufgebe,
deren Erfüllung mich noch mehr ärgern würde als ihre
Stöhrung, —
erst dadurch des stillern edlern Genusses der
schönen weiblichen Seelen
würdig, wenigstens fähig werde — daß
man dan neben dem schönsten
weiblichen Kopfe noch weis, wo einem
der eigne steht — daß man
dan noch sich erinnert, wie es nicht 1
Frau auf der Erde gebe sondern
500,000,000 — und daß man
dan mehr Launen erträgt und weniger
besizt.
Ich lege Ihnen in diesen Confessions meine ganze Seele
enthüllet in
Ihr Herz, aber Sie müssen sie wieder vor andern zuhüllen.
Ueberhaupt
stelte sich nur einmal eine Poststrasse zwischen
uns beide: so würd’ uns
eben die Entfernung einander
durch Briefe nähern. — Die Beob
achtungen,
die ich seit einiger Zeit mit so vieler Freude über die
Sonnenseite Ihres Innern machte, geben mir so viel Muth, hier
Ihnen vorzuplaudern, daß ich fast nichts fürchte als blos Ihre —
Langweile.
In Rüksicht der C. erstaunt’ ich eben so über das Lob, das Sie mir
geben, als über das, das Sie ihr nehmen. Die Laune der C.
ertrag’ ich
gern, weil ich glaube, sie hat Recht dazu — weil
sie fast gezwungen ist,
einen Menschen der immer so verschiedne
Seiten wies, von der neuen
nicht zu sehen — weil ich der Himmel weis wie, gegen sie
weniger
Muth und Freimüthigkeit bewies als gegen
irgend jemand. Ich ärgere
mich höchstens über die
Rechtmässigkeit der Laune. Wenn diese aber
aus keinem
Misverständnis, sondern aus feindseeliger Koketterie
herkäme —
welches mir unmöglich scheint —: so wär’ es Ihre Pflicht,
aus
Ihren Winken Worte zu machen und mich überhaupt wenn ich in
einem grossen Irthum bin, daraus zu
ziehen. Jezt da ich Sie dazu
auffodere: ist Ihre Freimüthigkeit
die gröste Güte. Wenn man wie Sie
Vermuthungen giebt, die
nachher bei mir immer über die Gränzen
laufen: so müssen Sie
jenen diese sezen durch Deutlichkeit. Ich darf
Sie bitten, mir
zu sagen, in wiefern Ihnen gestern Anlas gegeben
wurde,
meine Sache mit so vieler gütigen Theilnahme zur Ihrigen zu
machen. — Sobald ich vom Tische hier aufstehe, tret’ ich vor Sie.
Auch war es gestern keine üble Laune — warlich ich war froh
—
weswegen ich nicht hinaufkam, sondern der kleine
Nachgeschmak
Ihres gestrigen — Scheins war Ursache. —
Vergeben Sie, theuerste Freundin, das öde Geschmiere, das von
der Eile — und von der Erschöpfung durch Morgenarbeiten — und
von der Stärkung durch Essen — seine Farben nahm. Mit immer
wachsender Hochachtung
alter Freund
Richter
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/II_25.html)