Von Jean Paul an Wilhelmine von Kropff. Hof, 9. Mai 96.
Brieftext
Immer ziehen über den Lebens-Mai meiner neuesten und theuer-
sten Freundin die irdischen Gewitter so schnel und leicht als
das jezige
über den 9ten Mai
wegflog! — Ihre Freundschaft, gnädige Frau,
würde wol einen
weniger grossen Enthusiasmus als ich für jede
schöne und
fehlende Seele habe, zwingen, alles zu vergessen, um sich
einer einzigen Sache zu erinnern — das ist, Ihres Wohlwollens.
Eben gehen die Wolken stäter und das Barometer höher — und
ich
habe Hofnung, daß mir der Himmel gleich Ihnen die
Erlaubnis giebt,
Donnerstags in Bayreuth — wahrscheinlich im
goldnen Adler, den
ich gegen mein bisheriges Logis „die Sonne“ vertauschte —
und
nachmittags um 5 Uhr bei dem schönen Herzen anzukommen,
das
meine Ehrfurcht gegen dasselbe mit jedem neuen
Briefe zu wachsen
zwang und das mir, wenn ich erscheine,
folgendes zu verzeihen hat — —
meine durch meine Verhältnisse
und durch meine Anstrengungen hinter
dem Schreibtische
verrenkte und bejahrte Aussenseite, sogar meine
anerzogne
Aussprache. Aber meine Brust vol Liebe gegen alle Men
schen, und vol Freundschaft gegen die besten söhne mich mit
der
Freundin aus, die unter diese gehört! — Schlagen alle
meine Wetter
prophezeiungen fehl, so hoff’
ich doch noch in dieser oder in der
Pfing[st]
woche Ihnen mit einer elenden Stimme, aber
mit bleibendem
Gefühle zu wiederholen wie sehr ich bin
und bleibe der nachsichtigen
Freundin
Richter.
Am obern Rande auf dem Kopf stehend:
N. S. Kehret sich alles so um wie dieser Brief und verfehl’ ich
alle Wünsche: so komme ich nicht eher nach Bayreuth als 2
Tage
nach Ihnen
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/II_308.html)