Von Jean Paul an Johann Georg Jacob von Ahlefeldt. Bayreuth, 15. Mai 96.
Brieftext
Mein guter Ahlefeld,
Du wirst von vielen Nachtwandlern gelesen haben, die schlafend
sich an ihren Schreibetisch sezten und da Aufsäze machten, die sie am
Morgen mit Erstaunen fanden. Heute traf ich auf meinem
Tische
folgenden Brief von dir an mich an, den ich
wahrscheinlich — zumal da
es meine Hand ist — als Nachtwandler
geschrieben haben mus.
Ich wolt’, ich thät’ es jede
Nacht, so bekäm’ ich doch auf irgend eine
Art Briefe von dir.
Du schreibst so:
Lieber Jean Paul!
Ich wil dir meinen Traum zuflattern lassen, da er noch Schwung
federn hat. Mir träumte, du wärest
gestern nach Bayreuth gekommen.
Du schiktest sogleich den Frachtzettel deiner Ankunft an
meine Klotilde;
und sie dir ein Entréebillet. Dan
trabtest du um 3 Uhr in ihr Haus,
das grünende Schönheiten
umgeben, wie es eine blühende bewohnet.
Ich schwebte als
Geist in Luft verkörpert über euch — wenn die
Nachtigal schlug, war es ein Schrei meiner Sehnsucht — wenn der
Westwind ihre Blumen niederbog am Fenster, war es mein
Athem.
Wie war dir, alter Paul,
da auf einmal am Fenster Klotilde — die
ich dir kaum im
Silhouettenprofil geschildert — mit allen ihren
Stralen vor
deinem Aug aufgieng, nicht mit Rosen auf dem An
gesicht, sondern mit einem schön zerflossenen
Wiederschein derselben —
mit der holden Stimme, womit nur
das Herz spricht und das zweite
bezwingt — mit dem Anstand
und Ton, den nur die Welt giebt, und
mit der überraschenden
Naiveté, die nur die schönste Seele verleiht —
und mit allem, was wir nie vergessen werden? — Wie war
dir
Freund, zu Muthe, wiewol du schon mehrere
schöne und geistreiche
Weiber gesehen? — Recht elend war dir
zu Muthe — du vergassest
über das Ansehen das Anreden — und
du mustest dich von einer
Stunde zur andern zwingen, damit
du nicht stum warest, anstat blind.
Du kontest dich in die
schöne Zusammensezung aus so widersprechenden
Tugenden, aus Häuslichkeit und Weltton, aus ungewöhnlicher Offen
herzigkeit und edlem Selbstbewustsein,
aus Schalkhaftigkeit und
Gutmüthigkeit nicht recht finden.
— Sie wird dir viel zu vergeben
haben — sogar deinen
Enthusiasmus und deine Offenherzigkeit wird
sie unter deine
Schwachheitssünden rechnen; aber ich wil sie bitten,
dich für einen Dichter zu halten, der mit seinem Geflatter so viele
Stöhrung macht wie eine in ein Puz-Zimmer verschlagene
Schwalbe.
— Indes hast du 2 Frühlinge auf einmal; und
gerade Pfingsttage wie
sie dein Hesperus träumt. Ach da
aus ihrem vollen Herzen ihre volle
Stimme in den melodischen Strom ihrer Saiten flos: wie
gern hätt’
ich da mein Herz in einen einzigen Ton
aufgelöset, damit es als eine
Luftwelle in ihre Laute ränne
und mit diesen ausbebte. — Ich bin
A.
Dein Traum, Ahlefeld, ist keiner — ich habe sie gesehen und was
ich dir in den Mund gelegt, ist blosse Wahrheit aus dem
meinigen.
Ich war gestern von 3 Uhr bis abends um 11 Uhr
in ihrem Zauber
kreise festgehalten:
und jezt wenn ich die Beschreibung meines Glüks
geendigt
habe, so geh’ ich der Fortsezung desselben wieder entgegen. —
Ich könt’ ihr gehorchen wie ein zahmer Kanarienvogel: ich
wil ihr
meine tollen Büchertitel aufopfern — und
heute wil ich sie bitten,
meine Oberhofmeisterin in ihrem
nächsten Briefe zu werden und mir
wenigstens ein kleines
Sündenregister zu senden. Ich habe blos so viel
Einsicht in
die weibliche Natur, daß ich eine Dame von solchem Werthe
verehren und loben kan, aber bei weitem nicht so viel, daß ich sie er
rathen könte. Die weiblichen Karaktere
sind gewöhnlich mit so vielen
Schleiern umwickelt, daß der
beste Schleier ist, keinen vorzuhängen und
daß verstelte
leichter zu errathen sind als offenherzige. Wie schön,
mein
Theuerer, ist unser dreifacher Freundschaftsbund, der eng ist, ob
gleich das Band durch drei Städte laufen mus! — Ich bin
unordent
lich und eilig; ich wolte
dir noch von vielem sagen, von ihrem Berenizens
Haar, von ihrem biedern wohlwollenden Gatten — aber
in mir
klinget jezt ein trauriger Ton aus ihrem Munde nach und
macht mich
traurig. Nie müsse diese schöne Stimme, der die
Klage so schön steht,
eine führen, und ihr Auge möge nie die
Thräne sondern blos der
Schleier verdunkeln! Und du, mein
Freund, thue das Schönste, was
du auf der Erde thun
kanst, und nim von einem Herzen, das so viele
Qualen schon
gedrücket haben, die schwerste weg, die Sorge um dich
und
mache sie glüklich, indem du es wirst.
Richter
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/II_312.html)