Von Jean Paul an Emanuel. Hof, 30. Oktober 1794.
Brieftext
Geliebter Emanuel,
Hier send’ ich Ihnen meine Mumien, die ihren Namen nicht
durch
ihre Dauer, sondern durch ihr ägyptisches Predigen der
Sterblichkeit
verdienen. Wenn Sie so viel Toleranz für ästhetische
Digressionen
haben, als Sie für moralische besizen: so
werden Sie den 2ten Theil des
Buchs
noch leichter ertragen als den ersten. Es ist sonderbar d. h.
menschlich, daß wir immer originelle Menschen und originelle Bücher
begehren — und doch wenn sie da sind, sollen sie ganz für
unsern
Gaumen sein, als wenn für diesen eine andere
Originalität sein könte
als unsere eigne.
Es thut meiner ganzen Seele wol, daß Sie mich lesen, Lieber! Ich
und Sie gehören zusammen — unsere Bekantschaft ist kurz, aber unsere
Verwandschaft ist ewig — meine Seele ist nicht der Wiederhal
der
Ihrigen, sondern Echo und Klang fliessen zusammen
wenn sie nahe
an einander sind, in der Physik und in der
Freundschaft — — Ach in
diesem zerstäubenden Leben, in dieser
finstern Baumanshöle von Welt,
wo Blut wie Tropfstein zu unsern Gestalten zusammentropfet,
und wo
diese Gestalten so kurz blinken und so bald schmelzen,
in diesem
schillernden Dunst um uns giebt es nichts
stehendes und fortglühendes
und nichts was uns Gefühle der
Unvergänglichkeit reicht, als ein Herz
das geliebt wird und
eines, das liebt — Und doch brauchen diese
zerfliessenden
Schatten ein Dezennium, um einen Bund zu schliessen,
und nur
eine Minute, um ihn zu trennen!
Ich und Sie haben das Dezennium nicht gebraucht. — Versichern
Sie Ihrem Freunde Schäffer alle die Achtung eines Unbekanten, die
einem Lobe wie Ihrem folgen mus, das der Gegenstand auf den
Ur
heber reflektiert. Aber entschuldigen
Sie mich auch, daß meine Freude
seiner Bekantschaft nur eine
Hofnung und keine Erinnerung ist: denn
an jenem Tage, wo
ich abends wiederkommen wolte, fuhr auf einmal
(aber auch in
Gefolge einiger Gründe) der Vorsaz, den andern Morgen
zu reisen,
an mich — bis um 8 Uhr abends blieb ich bei der Fr. Haupt
man von Hein — um halb 9 Uhr führten mich meine Verirrungen
aus
Alleen und Gassen endlich in mein Logis — und doch hätte ich
nachher
um 9 Uhr, wär’ auch mein Essen und ein geringerer
Druk als der der
Schuhe vorbei gewesen, darum nicht kommen
können, weil ich mir die
Versagung Ihrer Geselschaft als eine
Entschuldigung für die Ver
säumung zweier
Familien im Meierschen Hause aufbewahren
muste — —
Der Frühling, der uns so viele Blüten wiedergiebt, wird mir auch
Bayreuth und die zwei geliebten Menschen wiederschenken, die
jezt wie
er sich durch den Winter von mir trennen. Als einen Vorläufer
von
mir werd’ ich Ihnen dan mein neues besseres Buch „Hesperus oder
45 Hundsposttage“ entgegenschicken, das zu Ostern in
Berlin in
2 Ausgaben und 3 Theilen erscheint. Die Person, die darin die
gröste
Liebe des Verfassers und vielleicht auch des Lesers
hat, trägt Ihren
schönen Namen Emanuel.
Renate, die die wärmsten Grüsse der Freundschaft hier zu meinen an
Sie legt, ist wieder genesen — dieser weisse Schmetterling
wird im
Schlagregen des Lebens durch jeden Plaztropfen auf
seiner Blume
zerdrükt — Das gute Schiksal geb ihm
leichte Flügel und Sonnen
schein und einen
Garten.
Ich kan mich nicht dahin bringen zu glauben daß ich das erstemal an
Sie schreibe — mir ist als hätt ich ein ganzes briefliches
Feleisen schon
an Sie geschikt und — empfangen von Ihnen. Damit
lezteres wahr
werde, so fangen Sie bald mit dem ersten
Briefe an. Ich bin Ihr Sie
ewig liebender und ehrender
J. P. Fried. Richter
N. S. Das mit Bleistift in meinem Buch geschriebene „passés à
la
page etc.“ ist blos für — Leserinnen, die
Satyren ennuieren
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/II_36.html)