Von Jean Paul an Renate Otto. Bayreuth, 11. Oktober 1796.
Brieftext
So oft ich eintunken wil für Sie, geliebte Schwester, klopfen Leute
an. — Aber vor allen Dingen ein Wort über die Schachtel! Es
ist
ein[e]
jämmerliche Gabe darin, die ich Ihnen ans Herz hängen wil
noch
ausser meinem. Ich wolte mit etwas Prächtigen, in Hof Uner
hörten und Ungesehenen bei Ihnen
anlangen und gab den Auftrag des
Kaufs Oertels Schwester und
jezt steigt das Ding ans Land — ich
wünsche, daß Fr. v. Oertel schöner ist als ihr Kauf. Ins
Medaillon
müssen in die Hinterseite einige Wehwammen von
meinem Kopfe:
polstern Sie sie mit meinem Haare und tragen dan
die Haarseite aus
wärts gekehrt.
—
Was ists? Meinen guten Willen verkennen Sie doch nicht. — —
Eben hab’ ich Ihren aus Ihrem edelsten Herzblute geschöpften
Brief wieder gelesen. Er bewegt mich tiefer und schmerzlicher und froher
als irgend einer, den Sie mir je schrieben. Welches Schiksal
könte mein
Ich so auseinanderreissen und zerstören, daß
Ihr Bild darin aus
gelöscht und
zertrümmert werden könte? Nein, meine Renate, wir
können uns
nie verlassen, und die Jahre ziehen sich nur als neue und
engere Banden um unsere Seelen. Unsere Liebe kan nur wärmer werden
durch das nahe Opferfeuer der mütterlichen und der ehelichen,
und
wenn eines von uns stürbe, so wäre das andere nur ohne
Trost, aber
nicht ohne Liebe. O du meine Unvergesliche,
du bleibst ewig an meiner
Seite, deine Freuden sind meine,
deine Thränen sind meine und die
grossen Stunden unserer
Vergangenheit gehen mit mir durch mein
ganzes Leben! Ach wenn
ich mich betrüben wil, so lass ich die Abschieds
stunde von Hof schlagen, wo ich an den Thränen sterben werde,
die für
dich du geliebte Seele fallen. Aber dan kömt und tönt
die höhere
Harmonikastunde, wo ich dich nach langem Trennen
wiedersehe, und wo
die Freuden aller entbehrten Augenblicke in
Einer Minute der Ankunft
auferstehen.
Ich unterbrach mich, um mich nicht immer tiefer in mein Ich hinein
zuschreiben. — Emanuel hat Ihnen mein
Reisejournal schon geschrie
ben. Bei ihm sah und genos ich gestern
die Hofräthin Vogt, eine aus
gezeichnete kräftige zarte und feste
Frau: in einer Viertelstunde waren
wir vertraut. Der Man ist
viel besser als die Kopie, die ich von ihm
mir vorher entworfen. Ich sol über ihr Gut reisen, aber ich
sehne mich
schneller nach Hof. In Bayreuth find’ ich
mehr Bekantschaften und
Freuden als jemals; aber das verdamte Weimar wirft seinen
Glanz
über alles und nimt mir den halben Genus, blos indem es
meinen
Wünschen und Hofnungen zu lange Flügel gab. — Morgen
ess’ ich bei
Völderndorf, der so rechtschaffen ist als das
Kammerkollegium und
Konsistorium zusammen: ich lieb ihn herzlich.
Ich wil meine Ankunft so wenig wie das Wetter prophezeien; doch
komm’ ich und gutes nun bald.
Wollen Sie mir auf diesen Brief eine Antwort geben, die mich etwa
in Bayreuth verfehlen könte: so geben
Sie sie nur in meiner — Stube
ab, wo sie richtig durch den Briefträger (meinen
Bruder) auf meinen
Schreibtisch getragen werden sol. Es wäre sehr schön, wenn
das erste,
was ich auf meinem Tisch fände, das wäre, was ich
darauf suchte —
Ihre Hand.
Lebe wohl, Schwester meines Herzens!
Jean Paul Fr. Richter
N. S. Emanuel war gestern so seelig als ers seine Gäste
machte und
sah. Wenn er den Himmel gekauft hätte: so schenkt’ er ihn
seinen
Freunden und bäte sich nur aus, als Miethsman
darin zu wohnen.
Die Briefe an Amöne und Caroline schicken Sie sogleich hinauf
zu Christian.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/II_427.html)