Von Jean Paul an Johann Gottfried von Herder. Hof, 5. Dezember 1796.
Brieftext
Ich danke dem Himmel, daß ich wieder etwas geschrieben habe: den
drei Vögeln, die wieder aus dem Hekkasten meines Museums
fliegen,
kan ich meinen Brief wie Brieftauben an Sie Unvergeslichsten
und
Geliebtesten, anbinden. Ach ich suchte vergeblich im
Michaelis
Meskatalog den Ersaz Ihrer Gegenwart in
einer neuen Kolonie Ihrer
litterarischen Nachwelt! Warum
votieren Sie nicht lieber jede Woche
2mal auf dem Parnas oder
im philosophischen Lehrsaal als im
Konsistorium?
Der Hesperus- oder Venusstern wird leider bei seinem
Durchgang
durch die Sonne von Weimar die
Gestalt eines Fleckens annehmen;
aber da er (bei der nahen 2ten
Auflage) als Luzifer unten wieder herauf
kommen sol, oder da er (in einer andern Metapher) einen verklärten
Körper vom Verleger erhalten sol: so wär’ es gut, wenn ich in
den
verklärten Leib auch eine verklärte Seele sezen
könte. — — Und daher
wünscht’ ich so herzlich, Sie würfen die
Seele in Ihr Purgatorium —
und schrieben mir hernach das
Übrige.
Ihrer verehrtesten Gattin und Ihrer wegen lass’ ich jezt oft abends
eine halbe Stunde später Licht in die Stube bringen, um mir in
der
Dämmerung — dieser besten Grundierung, diesem
Herbstdufte der
kolorierenden Phantasie — die glänzenden
Abende bei Ihnen, die
zurükgewichen, und die erleuchtete warme
Stunde auszumalen, worin
ich wieder Sie und die würdigste
Freundin Ihrer Seele, überglüklich
vor mir sehe. O leben Sie beide unaussprechlich beglükt und —
was
auf der Erde fast noch schwerer ist — beruhigt!
—
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/II_478.html)