Von Jean Paul an Friedrich Benedikt von Oertel. Hof, 15. Januar 97.
Brieftext
Ja wohl, Lieber, hat mir die Nachricht deines nahen Herzens
festes Freude mitgebracht: überhaupt stehen am
Bett[e]Himmel
Sternbilder, die besser als alle Dichterbilder leiten. Ohne in deinem
Falle gewesen zu sein, errath’ ich, wirst du mir rathen, darein
zu
kommen, um zu errathen. Wenn ichs machen könte, so
heirathete ich —
aber der Teufel stelt sich immer vor das 2
te Subjekt dazu — anno
1800,
damit Ehe und Kind mit der Jahrszahl gienge. Ach ich
werde zu
glüklich gewesen sein, um es einstmals zu —
werden. Unter allen
deinen Gratulanten kan keiner, mein guter
Oertel, so fröhlich sein als
ich, weil keiner so gewis weis als
ich, daß du jezt — glüklich wirst.
Dein Abbild deiner Frau hab’ ich dir einmal gemacht: nur eine
solche
wie du gemalt und gewonnen, beglükt. Wie wil ich dir Glük wünschen,
wenn du es hast? Dem Wunsch
deines Briefes, über oder an sie zu
schreiben, nim den
Zweifel: sage mir alles recht genau — worüber, an
wen u. s. w.
— was ich thun sol, mit doppelter Freude thu’ ichs,
denn die Freundin meines Freundes ist ja ganz auch meine.
Über Amöne gefället mir deine reine Mathesis, nicht deine an
gewandte. 1) Ich habe von
ihr so viel wie du, ihr Tagebuch etc.
gelesen. 2) Ich achte
Thaten, nicht Worte 〈Gefühle〉: deine Di
stinkzion zwischen Scheinen und Sein rettete alle poetische Egoisten.
Freilich malet nur der weisse Genius, aber der kaffeebraune
handelt
und durchstreicht oft. Der Bauris der
Tugend ist in jedem Herzen
und — Kiele; aber die Baukosten wollen etwas sagen. 3) Glaube
mir, in jeder Familie hatte allemal der Recht, der sie am
längsten
gesehen hatte, nicht ich. —
Meine Toleranz gegen Reichardt und deine gegen Amöne heben also
einander auf und wir beide haben an einander nichts zu loben
und zu
tadeln als was wir wechselnd selber sind. —
Meltzer hat mir mit seinem Garrikschen Antagonismus zwischen
Lachen und Weinen eine ausserordentliche Freude geschikt und
sie
durch seinen schlichten Brief vermehrt.
— Ich weis nicht, ob du dir nicht den kleinen Genus des Mspt
Jubileums durch das Lesen vor dem Druk
verdirbst. Ich habe meinem
lieben herzigen uneigennüzigen Beigang, zumal da das Buch leider
20 Drukbögen stark wurde, 5 daran geschenkt d. h. 130 rtl.
hies. Geld.
Aber dafür fodere ich auch, daß er mir in der
künftigen Woche sogleich
die 30 Ldor
schikt.
Lebe wohl, mein immer mehr Geliebter, ich wolte dir noch viel
sagen, z. B. daß ich Hof und meiner Lage nichts zu verdanken hätte als
Härte, daß ich hier die ersten 10 Jahre ganz allein und verachtet —
nur meine Otto’s
ausgenommen, wovon mich besonders
Christ[ian]
dessen gefühl- und kraftvollen, festen, demüthigen,
rechtschaffenen, feinen,
grundehrlichen, weichen
Karakter niemand kennet als ich, nicht einmal du und
Amöne
und zuweilen Jean Paul. Und er verdient eine wärmere
Antwort als du ihm
zulezt gabst: bei Gott, damals sündigte nur einer, nämlich
ich, er und du gleich
sehr nicht. Ich war dir, du ihm
Genugthuung schuldig. Antworte separat!
vor 10 J[ahren]
behandelt wie jezt — lebte, daß kein Mädgen mich
ansah, daß ich
überal Has, zumal im Herold[ischen]
Hause fand, daß
ich in Leipzig abends nie mehr zu
essen hatte als für 6 Pfennige, daß
ich in Hof samt meiner Mutter nichts zu essen, immer zu
fürchten hatte,
und daß wir (aber sei du die Gött in der
Verschwiegenheit) vom
Verkaufe alter Papiere für die
Höker zulezt lebten — daß ich doch troz
der kalten
litterarischen Aufnahme meiner Satiren meinen Plan nicht
änderte — daß ich unter Geizhälsen, Kleinstädtern stand, aber mein
Herz nie beugen lies — und daß ich doch, du gutes tröstendes
Ge
schik, nie holdere elysischere Tage
hatte (obwohl nur in meiner Brust
und unter dem blauen Himmel)
als damals. Die Augen treten mir
über, welche vergebliche nie
gekante Liebe damals in meinem jugend
lichen Herzen verglühte und erstarb. Lebe wohl, mein Oertel.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/II_509.html)