Von Jean Paul an Friedrich Benedikt von Oertel. Hof, 4. April 97.
Brieftext
Guter Alter! oder alter Guter! Wir fassen wieder unsere Hände,
wenigstens unsere Schreibfinger daran. — In
[den] folgenden Säzen
ist nur Moser’scher Nexus, obwohl schönerer Anlas.
Deine litterarische Laufbahn über die ausländischen Felder hinüber
ist mir deinetwegen wilkommen. Ohne Arbeit, d. h. ohne
täglichen
Unterzwek ist das Leben leer und die Freude
schaal. Nur Arbeit ist die
Ouvertüre des frohern innern
Konzerts; und ich würde sie auch ohne
ihren innern
hinreissenden Reiz schon meines Gewissens und Stolzes
wegen
suchen, um unter der Million, die um mich keucht und schwizt
und sinkt, mich durch das Bewustsein der eignen Anspannung aufrecht
zu erhalten. Arbeitsame Ermüdung ist das Salz des Lebens;
und die ge
niessende dessen
Menstruum.
Ich bitte dich sehr um deine 2 Abhandlungen über den Roman
[?]
und Gottlosen. Ich werde dir nur in 2 Worten darüber mein
Gefühl
entdecken können, weil mir die Zeit zu
Abhandlungen fehlt; aber ver
sage sie
mir nicht. — Überhaupt hast du eine zu bescheidne Meinung
über deine litterarische Perspektive — wie eine irrige über dein
moralisches Rechthaben — (Andere kehren die Irthümer um) und
du
köntest bei deinen Anlagen, die in deinen Briefen an
Amoene phos
phoreszieren, ganz etwas höheres
leisten als du wagen magst. Dafür
zeih’ ich dich ewig
gewisser Fehlschlüsse über jedes Herz, besonders über
das
von Amoene: Fehlschlüsse, die deine vortrefliche
Schilderung der
egoistisch-sentimental[ischen]
Weiber der höhern Welt nie erwarten
liesse. —
Hier ist Lavaters Brief, der durch linguistische
Arabesken sein Un
vermögen in der linguistischen
Zeichnung ersezen sol: am Briefe ist
nichts gut als was an
L. Schriftstellerei gut ist, das physiognomische
Einschiebsel.
Schicke Beygang das Nummernblätgen und die Bitte, am
Sonabend
nach diesem zu wählen.
Was ich an die geliebte Freundin deines und meines Herzens ge
schrieben, möge sie niemand zeigen als
dem der gewis in unsern Bund
hineingehört! —
Schlichtegroll schrieb mir einen so sanften Brief wie die
la Roche.
Ach sehen werd’ und mus ich dich in diesem Jahr! Und wahr
scheinlich an deinem schönsten Ort. Da die Zukunft stum
ist, wil ichs
auch bleiben; aber wir sehen uns, mein Oertel. — Meine
Armuth an
Zeit verödet und leeret meine Briefe aus,
weil der Mensch zwischen
Genug, Etwas und Nichts gewöhnlich
das Dritte nimt, wenn er
das erste missen mus.
— Falk stiehlt sehr (unter dem Kaperbriefe seines Namens);
sein
Almanach, worin ächte satirische Laune (nur nicht die
höhere, brit
tische) ist, und noch mehr Wiz,
nahm aus Arbunoth
[!] und Pope
das
meiste: sogar das bekante Gleichnis vom Bernstein; aus dem
Guardian
die Dedikazion an das Ich, aus Arbunoths Werken die Leichenbitter
Bitte. Gleichwohl ist er, obwohl kein Humorist, doch ein
ächter Satiri
ker; nur geb’ er seinen
Satiren den erhabnen Hinblik auf den Ernst der
ewigen Natur, ohne den die Satiren die Mortalität der Kalender er
leben und verdienen.
Lebe wohl, mein guter Oertel, dessen Herz ich täglich lieber gewinne
und höher achten mus, o deine Freude wachse wie meine
Achtung für
dich und das Schiksal versage dir — meine
Wünsche nicht!
Fr. Richter
Lache mich aus, aber halte mirs zu Gute. Lobe nämlich vor deiner
Braut Amoenen nicht zu sehr: diese
Lobreden gefallen ihr nur durch
eine Selbsttäuschung, indem deine Freuden so sehr zu
ihrigen werden,
daß sie nur durch
dich sieht, liebt und geniesset und lobt. Sie liebte in
ihrer Feindin deine Freundin. Wenn aber die Magie sich in
Freund
schaft entzaubert: dan
urtheilt sie weiblicher und wil von deiner Liebe
keiner
andern etwas abgeben, was sie jezt beim Überfliessen derselben
leichter kan. Kurz in der Ehe sehen die Weiber die
Bekantschaften vor
derselben anders an. Der 2
te Grund ist, daß du überhaupt Amoene zu
sehr auf Friederikes Kosten
erhebst (du müstest denn blos ihre Talente
meinen). Jene
hat blos die Tugenden, die sich auf das Ich beziehen,
edlen
Stolz, Muth, Seelenerhebung, Geradheit, Festigkeit etc.; aber
wenige von denen die andere angehen, wenig Liebe für
Freundinnen,
Geschwister und opfert sich selten auf.
Liebe für den Geliebten ist nur
ein Himmel aber
keine Tugend, obwohl oft die Wurzel der Tugend.
Die Weiber
haben mehr die 2
te Art der Tugenden, die Männer die
erste: beide sind leicht zu trennen, schwer zu vereinen.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/II_577.html)