Von Jean Paul an Renate Wirth. Schwarzenbach a. d. Saale, 14. April 1794.

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Brieftext

Schwarzenbach d. 14 Apr. 94 [Montag].

Liebe Freundin,

Heute war das erste 1794ziger Gewitter. Entweder dieses erinnert
mich an das in Bayreuth, wo ich schöne Tage mit einem anfieng —
oder die Person, die dort ihr sanftes Herz verbirgt, beweget durch die
Bilder von tausend schönen eingesunknen Stunden das meinige zu
sehr — — Kurz heute erfüll’ ich Ihnen mein Versprechen des Minia
türportraits von unsrer Freundin, die Ihnen nicht theuerer sein kan
als dem Portraitmaler selber. Ich wil von ihren Tugenden zu ihren
Fehlern übergehen. Meine Freimüthigkeit über beides verdenken Sie
mir nicht, so sehr Sie auch diese gute Seele lieben mögen. Alles was ich
Sie zu bitten habe, ist, daß Sie dieses Blat erstlich vor Ihrer Freundin
verstecken, wenn sie den Ton der Wahrheit nicht verschmerzen kan,
zweitens vor den Freunden derselben, wenn sie diesen Ton aus
Schmeich[e]lei verkennen solten.


Das Licht des Gemäldes.

Gute Seele! dein blasses Angesicht, dein liebendes Auge blikt jezt
mein Inneres an und ich hole tiefern Athem als wolt’ ich damit deine
Seele und deine Seufzer in meine ziehen! — Gute, Gute! behalte ewig
die Vorzüge, die ich dir jezt zuschreibe. Behalte dein Herz vol Menschen
liebe, das keinen Menschen verläumdet, deinen sanften Enthusiasmus
für alles Rührende und für den Tod, deine Liebe zu Gott, deine
Begeisterung in der grossen Natur, dein Auge vol heiliger Thränen,
dein Herz vol Uneigennüzigkeit und deinen schillernden Wiz! —
Renata! lassen Sie sich einmal von Ihrer Freundin erzählen, welche
Eden-Stunden ich an ihrem Auge und in ihrer Hand verlebte: dan
begehren Sie kein längeres Gemälde von Ihrer schönen Freundin!


Schatten des Bildes.

Ich wende mich von Ihnen, Renata, und rede nun gerührt blos
unsere Freundin an: „warum hast du Fehler? Ach wenn man eine
„solche Brust vol edler Gefühle an die eigne drükt: dan fället mitten in
„der Umarmung der Gedanke ihrer kleinen Sonnenflecken wie ein
„glühender Tropfen auf die entblösten Nerven. Warum ist so oft der
„weibliche Edelstein in Blei gefast? — Kommen die Beweise deiner
„Liebe allemal aus Liebe, und nicht vielmehr oft aus Eigennuz? Bist
„du nicht am besten, wenn du nichts für deine Liebe zu besorgen hast
„und fühlst du nicht eine verstekte innerliche Entschlossenheit zu
kleinen Abweichungen vom Weg des Selbstgefühls und der Ehre,
„im Falle diese Liebe durch nichts mehr zu retten wäre als durch jene
„kleinen Abweichungen?“


Ich wil fortfahren, ohne sie anzureden.

Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 2. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1958.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

H: Berlin acc. ms. 1898. 796 (derzeit BJK). 3½ S. 4°. J: Täglichsbeck S. 69. 9,1 des] aus eines 2 unsrer] aus einer 12 hole] aus ziehe damit] nachtr. 15 das keinen Menschen] aus die niemand 19 einmal] nachtr. erzählen] aus sagen 21 Ihrer schönen Freundin] aus ihrer schönen Seele 23 blos] nachtr. 26f. ein glühenderTropfen] aus glühende Tropfen

H stammt aus Renatens Besitz, wurde ihr also trotz der Unfertigkeitgeschickt oder gegeben. Die Freundin ist natürlich Renate selbst; vgl. 7, 18 und Nr. 213. 8, 34 Gewitter in Bayreuth: vgl. Bd. I, Nr. 407†.

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/II_6.html)