Von Jean Paul an Christian Otto. Hof, 8. Februar 1795.
Brieftext
Hier schick’ ich dir die Zank-Akten sämtlich; ich thue nicht die Bitte,
sondern die Foderung daß du sie liesest. Wenn einmal meine Worte
einen Augenblik bei dir nöthig waren: so ists einerlei, ob es
ge
schriebne Buchstaben sind oder nicht. Das Lesen der leztern — um so
mehr, da diese gleichgültigen Blätter keine Autorin
kompromittieren
können und da sie nur schreiben, was ich sage — sei das Siegel auf
unsere doppelte Vergessenheit: du hast zu vergessen, daß
ich etwas ¼
sage, was du gar nicht sagen würdest, wiewol du
bedenken soltest, daß
jeder Grad meiner Verschwiegenheit bei
meiner herauspolternden
Kühnheit, bei meiner Gleichgültigkeit
gegen unzählige bürgerliche
Kleinigkeiten und bei meiner
angewöhnten Verschwendung meiner
eignen Geheimnisse ein
grösseres Verdienst als bei dir ist, weil dich
dazu deine
Natur, mich aber erst mein[e] Pflicht
zwingt. Was ich
vergessen habe, ist, daß du ein wenig zu hart
warest. Warlich ich hätte
dir es vergeben, wenn du sogar das
ausgeplaudert hättest, was ich
nicht ausgeplaudert habe: es wäre
voreilige Schwäche gewesen, und
kein Vergehen. — Ich bitte dich
noch einmal, lies alles, um so mehr,
da ich dir manches
gar nicht sagen konte aus Vergessenheit.
R.
In ½ Stunde holts mein Bruder wieder ab
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/II_61.html)