Von Jean Paul an Friedrich Benedikt von Oertel. Hof, 21. Juni 97.

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Brieftext

Hof d. 21 Jun. 97.

Ich beklage dich, Lieber, daß du zu einer Zeit, wo deine Hand etwas
Schöneres zu halten hat als Papier und Feder, zu meinem Vortheil
auf Kosten des deinigen schreiben must. — Ich wolte, die Berlepsch
bliebe einen Abend hier: sonst lohnt es kaum der Mühe. Ich weis
voraus, sie wird mich zu sehr einnehmen. Das doppelte Lesegeld gäb’
ich darum, hätt’ ich nur eines ihrer Werke gelesen oder wüste die Titel
blätter auswendig. Über die Klasse der Krüdner — wozu, nur mit
neuen Fehlern, auch Amöne gehört — bin ich mit dir in Rüksicht der
Beobachtungen (deine in einem Briefe an Amöne darüber sind vor
treflich und erschöpfend) mehr einig als du meinst, nur nicht in Rük
sicht der Schlüsse daraus. Kurz es ist die Klasse der poetischen Genies,
und am andern Geschlecht fallen die egoistischen Mängel nur mehr auf.
Mein ½ Titan streitet gegen diese Götter und Göttinnen: eben diesem
Titan verdank’ ich eine Aufklärung und einen ewigen Ruhepunkt, der
meiner Seele bisher fehlte. —


Aber o Oertel, wie kontest du in deinem vorvorigen Briefe mich so
kränken? Kenst du dich und mich so wenig? 1) Hat jene äusserliche Affek
tazion Amandas nur die geringste Ähnlichkeit mit Krüdn. Fehlern? und
also dein Urtheil über diese die geringste mit den Urtheilen über jene?


2) Ist nicht der Grim gegen Affektazion bei allen Menschen al
gemein?


3) Und könt’ ich je gegen andere Fehler als gegen die der Gattung
schreiben? je gegen die eines Individuums? Noch dazu ist es nicht der
deinige. — Aber solchen Exegesen werden meine erweiterten Bekant
schaften mich immer mehr blosstellen — so daß ich blos in eine grosse
Stadt mit einem Hofe darum nicht ziehe, weil eine im Titan ihr ähn
licht — Nur du solst so etwas nicht denken. — Jezt sag’ ich nicht mehr:
sei glüklich! denn du bist es. Sondern ich sage: bleib’ es!

N. S. Eine Freundin von mir, Fr. v. Schukman war bei dieser
Berlepsch und dieser kündigte sie den Besuch auf die Zurükreise an.
Jezt auf der Herreise! Das ist ein weiblich-genialischer Zug. „Wir
wollen morgen fort — nein heut Abends — ach jezt!“


Wie kam Kosegartens Brief an dich? und wie bring’ ich meinen
an ihn

Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 2. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1958.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

H: Berlin JP. 4 S. 8°. K: Oertel 21 Jun. J: Denkw. 1,357×. 345,7 die] aus der H 8 -genialischer] nachtr. H

344,15 ff., Berlepsch: s. Nr. 666†; Oertel hatte sie im Dezember 1796 inLeipzig kennengelernt und sich in einem Brief an Amöne über sie und ihresgleichen abfällig ausgesprochen. 28ff. Oertel hatte anscheinend die Stelleim Jubelsenior, wo es von dem Fräulein Amanda von Sackenbach heißt,„daß bisher kein Mensch ... sich an ... ihrer Affektation versehrte undstieß als ein einziger Falschmünzer, der sie mehr täuschte als sie ihn (ichnenn’ ihn nicht) und der ihre Gefallsucht für Eroberungssucht ... nahm“(I. Abt., V, 467,3–8), auf sich und seine Beurteilung der Frau von Krüdenerbezogen; s. zu Nr. 398. 345, 8f. Im Titan hat Jean Paul diesen „weiblich-genialischen Zug“ auf Albano übertragen, vgl. I. Abt., VIII, 12,17f. 10 Kosegarten: s. Nr. 654†.

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/II_648.html)