Von Jean Paul an Friedrich Benedikt von Oertel. Hof, 17. Juli 97.
Brieftext
Mein guter Oertel! Mein Schmerz für dich ist beinahe so gros wie
meine Hochachtung für den Grad von einer Tugend, die man in
unserem Jahrhundert fast noch eher findet als sucht: dein
innerer
Mensch mus immer auf scharfe Klippen und volle
Gräber steigen und
auf diesem Thabor steht er vol Glanz. Deine
Leiden sind selten, aber
deine über-sinliche Ergebung ists noch mehr. Allein das
Verhängnis
kent dein Herz oder das menschliche: der
volständige Besiz des Gegen
standes nimt
unwiderbringlich die Liebe hinweg (und zahlet Freund
schaft dafür), lässet aber den langen tiefen Wunsch nach der
Liebe zurük.
Kein Sommertag ersezt den ersten Frühlingstag.
Aber deine Ehe hat
keine „Sommerstunden“ sondern wie das
schönste Klima einen fort
blühenden Lenz: kurz ich weis gewis,
daß auf eben deiner Klippe, woran
dein Herz nur blutet, nicht
scheitert, für dich (vielleicht für den ersten
Menschen auf der
Erde) das Immergrün einer ewigen Liebe ent
spriesset. Der Schmerz giebt deiner, ich möchte beinahe dazusezen,
meiner, Geliebten eine unnenbare nach Opfern dürstende
Zartheit.
Aber verschone die blutende Seele mit dem kleinsten
Zeichen deiner
Wunden: sag ihr lieber das, was ich dir sagte
und beantworte ihre
Thränen nicht durch deine sondern durch
Freude. Philosophische Gründe
helfen ihr nichts, nur deine
Aussenseite: auch ist ihr Schmerz nur ein
Echo des deinigen
und wenn sie wüste, daß du keinen hättest, kente sie
ihren Verlust nur wenig, da Kinderlosigkeit etwas Gewöhnliches ist
und da ihre Sinnen rein sind.
Aber die Moral erlaubt <gebeut> ihr den schmerzlichsten Versuch
einer Heilung — einen gefährlichen giebt es hier nicht — und
must du
denn deine Hofnungen auf Leipzig, stat auf Berlin und
Jena ein
schränken? Ich verbrenne deinen
Brief, obwohl ein Belobigungsbrief
deines Herzens. Sage mir
immer was dich quält: ach wie klein ist das
Verdienst, da ich
nur die Seufzer, nicht die Bürde theilen kan. Nie ent
wische dir gegen Amöne ein Wink irgend
eines Grams: ich kenne
die misdeutende — Eigenliebe. Wenn ich wähle, und das thu’
ich bald
(aber ausser Hof, das ich nun in einem ½ Jahre
verlasse, daher ich dich
um einen Rath zum Aussuchen einer Stadt — aber auf einem
besondern
Blätgen — bitte) so wähl ich wie du. — Eine
gefährliche Krankheit
meiner Mutter kettet mich durch
Schmerzen von meinen Reise
Freuden eine Zeitlang weg. Die Berlepsch deren Lob ich verspare, wil
mich im August nach Leipzig
mitnehmen: sie ist moralischer und schöner
als die Krüdner und Kalb, aber nicht so genialisch.
Hier hast du Briefe: Herder schikte mir seine Bücher. Die
Z aus
Zerbst schikte mir einen langen seidnen Beutel mit den
eingestikten
Worten: dem grossen Genius des Hesperus. — Ich
bitte dich, nie über
mein Schweigen zu zürnen, da ich täglich mehrere
Briefe und Arbeiten
bekomme und immerfort je mehr ich Bücher
schreibe desto mehr Stof
zu Büchern erhalte, so daß ich
sterbe, ohne nur die Hälfte meiner
Satiren, Reflexionen etc.
der Welt gelassen zu haben. Blos der Eigen
nuz meiner Liebhaberei für deine Briefe verdoppelte bisher meine an
dich (nämlich relativ gegen andere Korrespondenten, denen ich
den
3ten, 4ten Brief beantworte).
Ach lebe du wohl, mein Geliebter! Wenn ich dich und deine edle
Sophie sehen werde, wird mein Herz in die Thränen der Liebe und der
Freude überströmen. Liebt euch immer so! werd’ ich denken,
aber die
überfülte Brust wird es nicht sagen können!
N. S. O treibe doch an Beigang
[!], daß er mir Lesebücher und
meine Rechnung schikt.
N. S. Ich lese jezt den Paul[lus]
Septim[ius] von Bouterwek und
finde einen so reinen festen Umris der kritischen
Philosophie von so
vielen Schönheiten des Dialogs und der
Phantasie berahmet, daß mich
das Urtheil der L
[itteratur]
Zeitung erzürnt. Wenn er mich beneidet,
so betrifts nicht den Werth sondern das Glük, da er
offenbar als Autor
nur den erstern gehabt
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/II_663.html)