Von Jean Paul an Christian Otto. Bayreuth, 16. September 1797.
Brieftext
Sontags.
Ich wolte gestern wenigstens ein Paar Zeilen schreiben — und mit
dem Paare fang’ ich heute an. — Den Schnit deiner Federn
wirst du
im nächsten Frühling noch finden.
Jezt hab ich deinen Brief. Nun bin ich über meine Abwesenheit
wieder durch die Entzückungen des freundlichen Paars bei
euch, und
durch das Betragen meines Bruders getröstet, der vor mir,
aber mit
weniger Recht wie der Straus mit seinem Kopfe
Versteckens spielt.
Hätt’ ich den alten Stokknopf mit dem
W der Spangenberg noch, diese
Wilhelmine müste auch darauf. Ich werde sie nur wiedersehen, so
leibhaftig hast du mir sie gemalt. — Das mit Serboni hat
mich
gerührt: möge der kleine Planet nur irgend einen
Wiederschein der
Sonne, die ihm fehlt, durch sein Gefängnisgitter
bringen! Kein
heiligeres Geschenk giebt es nicht als das
angebotene. — In
Schwarzach war ich und unser
Simultan-Bruder den ½ Mitwoch
und den ½ Donnerstag. Leider hab’ ich schon Carolinen diesen vom
Himmel herabgesenkten Himmel oder Freudenort gemalt. Nur
Zeit
und weite Stiefel
fehlten mir, um einmal durch ein langes isoliertes
Gehen
in diesem vollen befruchteten und überblühten Paradiese so
viele verlorne meiner Phantasie wieder zu finden. Ach warum wird
dem Menschen alles so spät gegeben und die besten Walnüsse
erst, wenn
ihm vorn ein Hauptzahn fehlt? — Sogar der Hofrath
— sie ohnehin
mit ihrem ewig-jungen Auge — gefält mir immermehr. 2
Loth
Voigtisches Pulver hat er bei mir käuflich
abgesezt, nachdem ich
abends gratis (nach der grösten
Erhizung als Freudenmeister und als
Clavizembalist) eine
Probe-Messerspize genommen. Da ich troz der
Erhizung keine
Kopfschmerzen bekam, so bin ich nun ein Proselyt und
Apostel
des Pulvers. Beide Leute erinnern sich mit der zärtlichsten und
sehnsüchtigsten Achtung deiner; und das thun alle
deine Wirthe —
Schäfer und sie — und deine Mitgästin, die
Fürstin, die dich ungemein
liebhat. Ich habe es nicht aus ihrem Munde — denn der war
samt
Rest 1 Tag vor mir schon abgereiset — sondern von
Schäfer. — Das
Fischersche Ehepaar hat mir bessere Federn
(zumal eine neu an
geschnittene aus Frankfurt am
Main) gestohlen als ich hier führe. —
Ich laufe hier meinen gewöhnlichen Zodiakus von Häusern
durch: ich
werde dir nicht viel zu erzählen haben.
Dienstags geh ich hier ab. —
Vor euch erscheinet ein Mensch
veränderlich im Geschmak, weil er, der
aus einem 30jährigen
einsamen Isolatorio und Bicêtre herauskam
und der vorher darin weder Städte noch Mädgen noch Bälle
noch
Leute gesehen, nun die allerersten, die er vor der
Kerkerschwelle antraf,
natürlicher weise für herlich
ausschrie (denn er verglich alles mit den
Ratten und Ketten
und Mauerflecken seines Bicetre) und weil er
nachher über
der Schwelle draussen oft anderer Meinung wurde,
wenn er sich umsah und verglich: besagter Mensch war und ist später
gar nicht veränderlich ....
Wäre meine Zeit nicht in Hof so bang-enge zugeschnitten
und mit so
vielen Allotrien verkürzt: so vergäss’ ich hier bei
unserem Doppelbruder
die Zeit. Ich wil nach Jena. In Leipzig wil ich wild und
hart gegen
jeden Zeitdieb sein und einmal anfangen, meine
Schreibereien nicht
mehr für Brunnenbelustigungen im
Badorte des Lebens, sondern für
ex officio’s anzusehen. Lebe wohl, Lieber! Emanuel
grüsset dich, ohne
es mir vorher gesagt zu haben. Ich bedauer’ es
seinetwegen, daß ihn
in Hof nicht
das Fischersche Paar gesucht: du möchtest dan ihm, denn
der Grund wäre derselbe, sowohl geschrieben haben
als mir.
Leb wohl Lieber! R.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/II_701.html)